Lektorix des Monats Juni 2007
Sarah Weeks:
Jamies Glück
Hanser 2007
Glück und Unglück
Manchmal lässt es sich schwer sagen, wann und womit genau die Unglückssträhne begonnen hat. An jenem Abend, als Jamie seinen Kater noch raus ließ, der dann überfahren wurde? Oder erst als bald darauf sein Vater die Familie verlassen hat? Oder war es der Unfall seiner Tante Sapphy, bei dem sie ihr Gedächtnis verloren hat, sich nur noch an die Zeit vor dem Unfall erinnern kann? Verblüffend, mit wie viel Leichtigkeit, Humor und Sinn für komische Situationen Sarah Weeks dieses angehäufte Unglück erzählend bewältigt: Denn das war erst der Anfang. Es folgt der Umzug in die Wohnwagensiedlung zu Tante Sapphy, um sie besser pflegen zu können. Vielleicht, um ihrem Erinnern mit dem richtigen „Schlüssel“ wieder auf die Sprünge zu verhelfen. Jamie denkt dabei an alte Platten, die an ein und derselben Kerbe immer wieder hängen bleiben. So wie bei ihm der Geschmack nach Toffee in unangenehmen Situationen immer wiederkehrt, und der bohrende Druck in seiner Wange – umgekehrt zu seiner Tante will Jamie diese Erinnerung an den Auslöser seiner Panik, die Geschichte mit dem alten Gray, unbedingt vergessen. Ungeschönt beschreibt Weeks das Leben in der Siedlung, die Armut, die manchmal klischeehaft skurrilen Typen, die gegen die Hoffnungslosigkeit kämpfen – oder längst aufgegeben haben. Unter ihnen auch das Mädchen Audrey, die tatkräftig ihr Leben zusammenhält und weiß, mit welchem Tritt gegen den Automaten man zu Gratislimo kommt. Und die mit ihrer viel zu großen, noch dazu glaslosen Brille selbst ein Stück Erinnerung herumschleppt. Seit sie sich hartnäckig an seine Fersen heftet, scheinen sich die Dinge für Jamie nach und nach zu ändern. Auch wenn ihr Hypnosetrick nicht funktioniert, lernt Jamie wieder zu vertrauen, letztlich auch sich anzuvertrauen. Der genaue Blick ist es, der, der hinter die Dinge schauen lässt und beim Schreiben so wirkt, als würde man einen Splitter aus der Haut entfernen – erklärt ihm der Autor, der die Schule besucht. Und dann kommt der Moment, um darüber nachzudenken, wann und womit es neuerlich begonnen hat – das Glück?
Inge Cevela
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