Aus d. Engl. v. Cornelius Hartz.
Prestel 2024.
48 S.

Mark Majewski: Brücken

Lass uns Brücken bauen
Heraus aus dem Jetzt
Über Mauern hinweg
In eine neue Zeit

Wo eine Brücke steht, war vorher einmal – logisch – keine. Aber was war da dann? Der Luftraum über einer Straße oder einem Fluss vielleicht; etwas größer gedacht möglicherweise sogar über einer Schlucht, einem Tal oder einem Ozean. Irgendwann war da einmal nichts, bis sich jemand entschieden hat, von der einen auf die andere Seite überzusetzen und eine Verbindung herzustellen. In Landschaften unter menschlicher Einwirkung sind Brücken ganz besondere architektonische Marker, die sich auch als Metapher für die Beschreibung einer zwischenmenschlichen Bewegung in unserem Sprachgebrauch festgesetzt haben: Wo Differenzen untereinander überbrückt werden, braucht es Kompromissbereitschaft und kommt es zu einer Annäherung, die neue Perspektiven ermöglicht. Ob physisch-dinghaft oder gedanklich, wenn eine Brücke gebaut wird, entsteht etwas Neues. Dann wird ein Weg geschaffen, den es vorher so noch nicht gab.

Eine bemerkenswerte Eigenschaft, trotz derer Brücken (so eindrucksvoll groß sie oft sind) gerne übersehen oder zumindest nicht aktiv wahrgenommen werden. Meist fügen sie sich ja recht stoisch und unaufgeregt in ihre Umgebung ein und lassen das Leben um sie herum Leben sein. Der in Berlin lebende Künstler Marc Majewski nimmt sich nun die Zeit und schaut genauer hin; in einem zwischen Bilder- und Sachbuch verorteten Band setzt er bekannte und besondere Brücken dieser Welt kunstvoll in Szene, wobei er neben architektonischen Eigentümlichkeiten auch ihre ideellen Werte würdigt.

Brücken aus Gedanken
Frei und ohne Angst
Brücken aus Worten
Und aus Toleranz

Die je doppelseitigen Inszenierungen der Bauwerke verzichten auf zu viel Sachinformation und setzen vielmehr auf emotionale Wirkung und Gedankenspiel. Genau in diesem Sinne bleibt auch der angeordnete Schrifttext, der an die Logik der barocken Emblematik angelehnt scheint, reduziert: Begonnen wird jede Seite mit einer der inscriptio gleichenden Überschrift, die auf eine bestimmte Eigenschaft fokussiert („Brücken fallen auf“, „Brücken sind standhaft“, „Brücken verbinden Länder“), darunter finden Leser*innen – als Verschriftlichung der hinterlegten pictura – Name sowie Standort der gemalten Brücke, und als subscriptio angefügt wird wiederum ein kurzer, ihre Einzigartigkeit erläuternder Satz. Diese kann etwa architektonischer Natur sein („Diese Brücke ist höher als der Eiffelturm!“), von der Geschichte erzählen („Diese Brücke ist ein Wahrzeichen der Bürgerrechtsbewegung.“) oder visuelle Assoziationen herstellen („Diese Brücke erinnert an ein Paar, das Tango tanzt.“).

Gerade durch die Kombination der präzise-zurückhaltenden Schriftsetzung mit Marc Majewskis expressiven, farbintensiven Brücken-Porträts entfaltet sich die besondere Poesie dieses Buches. Während sich die Brücken als verlässliche Ruhepole unverrückbar über die Seiten schlagen, vibriert um sie herum das Leben in all seiner bunten Vielfältigkeit. Überall machen sich Menschen, Tiere und Pflanzen die entstandenen Wege zu eigen. Ob sie nun geschäftiges Treiben und vergnügte Geselligkeit in der Großstadt ermöglichen oder entgegen rauen Witterungen in unwirtlichen Gegenden Verkehrswege aufrechterhalten – diese Brücken halten Stand. So individuell wie ihre Geschichten ist ihre visuelle Gestaltung durch den Künstler. Die Acrylbilder zeichnen sich durch dicke, lebendige Pinselstriche aus, die ganz ohne Konturen berauschende Lichtstimmungen entstehen lassen. Die meist in kräftigen, erdigen Farben dargestellten Situationen vermitteln in ihrer Einfachheit gedankliche Tiefe und vor allem viel Herzenswärme.

Brücken aus Fernweh
Von Tokyo nach Rom
Brücken von hier bis an den Ort
An dem du wohnst

Marc Majewskis Brücken wirken im Großen wie im Kleinen. Sie sind auf fünf Kontinenten zu finden und erfüllen – eine am Ende angefügte Doppelseite hält für interessierte Leser*innen noch ein paar knappe Zusatzinformationen bereit – genauso vielfältige Funktionen. Während manche von ihnen die Reise von einem Land in ein anderes ermöglichen (wie die Victoria Falls Bridge zwischen Sambia und Simbabwe), eignen sich andere eher zum Flanieren und romantischen Entenfüttern (wie die Bow Bridge im New Yorker Central Park). An den facettenreichen Menschen, die gemeinsam über die Brücken wuseln, lassen sich gesellschaftspolitische Entwicklungen und Hoffnungen ablesen.
Gemeinsam haben sie aber alle, dass sie da verbinden, wo vorher etwas getrennt – oder zumindest eben noch nicht verbunden – war. Sie legen Wege durch unterschiedlichste Landschaften, lassen uns mit dem Künstler ihre architektonische Formenvielfalt erleben und gedanklich ein Stück weiter gehen. Diese zuerst fast floskelhaft wirkende Tatsache wird hier so kunstvoll und feinfühlig in Bilder übersetzt, dass sie plötzlich mit einer neuen Vielfalt an Perspektiven, Assoziationen und Empfindungen verknüpft wird. Brücken schlagen heißt eben auch das: Möglichkeitsräume schaffen.

Lass uns verbinden und nicht trennen
Und verstehen, was wir nicht kennen
Wir bestimmen, was vor uns liegt
(Madsen: „Brücken“)

Sarah Auer

 

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