Ill. v. Michael Roher.
Tyrolia 2023.
128 S.

Es kommt nicht jeden Tag vor, dass jemand aus dem STUBE-Team ein Kinderbuch herausgibt. Noch dazu ein so wunderschönes. Eigentlich ist es noch nie vorgekommen. Doch ein STUBE-Frühjahr, das unter dem Motto >>> Fingerhüte voll Glück steht, könnte mit keinem aufregenderem Ereignis beginnen. Daher möchten wir – ganz außer der Reihe – mit Kathrin Wexberg unsere Freude an einem ungewöhnlichen, außergewöhnlichen, ganz und gar gelungenem Buch teilen.

Heidi Lexe

P.S. Und: Keine Sorge. Natürlich wird hier ab Mitte März auch für eine Kröte des Monats Platz sein, an der die STUBE ihre Finger nicht im Spiel hatte …

Kathrin Wexberg (Hg.): Immer mal wieder zum Himmel schauen

Gebete für Kinder heißt es am Cover, und doch fühlt man sich als gestresste Erwachsene sofort angesprochen und ermahnt: Immer mal wieder zum Himmel schauen – das erfordert einen Moment des Innehaltens: Man hebt den Kopf, sieht weg von der Arbeit oder schlechten Nachrichten. Bleibt man am Cover hängen, wird der Blick von farbigen Vogelschemen auf dunkelblauem Grund emporgehoben, immer weiter, über den Buchdeckel hinaus. Friedenstauben könnten es sein; oder symbolische Darstellungen unserer Gedanken, die den Himmel flügelschnell erreichen sollen; oder einfach Vögel, die das Geschenk des Fliegens genießen.

Sechs Kapitel enthält der schmale Band, den man trotzdem nicht schnell aus der Hand legen kann. Verfasst wurden die Gebete von Autor*innen wie Lene Mayer-Skumanz, Georg Bydlinski, Dietrich Bonhoeffer, aber auch Elisabeth Steinkellner, Lena Raubaum, Heinz Janisch oder Nils Mohl. Einige der Texte sind fast achtzig Jahre alt (die Grundgebete natürlich noch viel älter); andere sind erst für diesen Band entstanden – und zeigen eine Variante zeitgenössischer Kinderlyrik, in der das Stille und Leise seine Wirkung entfalten darf. Klug ausgewählt und mit Bedacht angeordnet ergeben die Gebete und Gedichte eine harmonische Mischung, durch die aus unterschiedlichen Stimmen und Stimmungen ausgewählt werden kann – sodass ganz unterschiedliche Möglichkeiten angeboten werden, etwas scheinbar so anachronistisches wie das Gebet neu mit Bedeutung aufzuladen. Dabei lässt sich ganz individuell eine Stimme finden, durch die man sich angesprochen fühlt; und mit der man sich selbst an (s)ein göttliches Gegenüber wenden möchte.

Alltägliches – „Ärger“, „Weinen“, „Freude“, „Spiel“, „Halt finden“. „Weltstaunen“. Der kindliche Alltag kennt Langeweile (verarbeitet in Gerald Gumps „Ur-Öd“), aber keine Gleichgültigkeit. Alles ist wesentlich, und alles hat seine Zeit. Besonderes Augenmerk liegt hier auf der Schöpfung, auf der Begegnung von Gott und Mensch in der Natur. „Gott wohnt im Grashalm“, folgerichtig ist das „Gebet eines Marienkäfers“ Teil des Kapitels.

Tagesablauf und Jahreskreis – „Um etwas bitten. Für etwas danken. Jemandem etwas Gutes wünschen, also segnen. Es sind ganz einfache, ganz wesentliche Grundformen menschlicher Kommunikation, die beim Beten vollzogen werden“, schreibt die Herausgeberin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der STUBE Kathrin Wexberg im Vorwort. Der ganze Tag, sieht man hier, kann ein Gebet sein: vom Morgen mit Dank für den guten Schlaf und der Bitte um schönes Wetter über die Tischgebete bis hin zum Abendgebet. Sich „[m]it guten Gedanken“, mit einer „Bitte“, einer „Frage“ noch einmal – „Ganz kurz noch“ – an Gott wenden können, dazu werden hier Anregungen gegeben.

Entscheidende Momente im Leben – An die ersten entscheidenden Momente, Geburt und Taufe, erinnern sich die wenigsten. Wie man sich aber in der Nacht vor dem ersten Schultag gefühlt hat, das wissen noch viele. Kinder und Eltern brauchen in dieser Zeit, wenn „[e]twas Neues beginnt“, „Zuspruch“ – und Freude auf dieses Neue.
Viel Raum wird in diesem Kapitel auch der Trauer und dem Abschied von geliebten Menschen gegeben. Von „Ausweinen“, „leben ohne dich“ und „Trost im Abschied“ sprechen die Gebete.

Grundgebete –uralte Gebete der katholischen Kirche, die uns ein Leben lang begleiten. Manchmal scheinen sie uns vielleicht aus der Zeit gefallen, manchmal – wenn wir sie mit anderen gemeinsam beten, verbunden mit allen Gläubigen, die irgendwo auf der Welt gerade das gleiche Gebet sprechen – sind sie uns ganz nahe. Direkt nach den entscheidenden Momenten, dem ganz individuellen Erleben schenkt Kathrin Wexberg den Grundgebeten einen zentralen Platz in der Kapitelanordnung, denn „Beten ist sowohl ein sehr universelles als auch ein ganz persönliches Geschehen“.

Psalmen und Gebete mit Geschichte –Die Bibel steckt voller sprachlicher Bilder, die uns Gottes Wirken zugänglich machen sollen. Mit Psalmen und Gleichnissen werden abstrakt scheinende Inhalte zu konkreten Beispielen heruntergebrochen und in Symbolen, Bildern erklärt.
Die kindliche (Literatur-)Welt ist hauptsächlich mit Bildern gefüllt, das geschriebene Wort kommt erst später dazu. In diesem Kapitel werden Erwachsene und Kinder gleichermaßen an die Hand genommen und über Variationen und Gedanken zu Psalmen näher an das große Geheimnis Gottes herangeführt. Für ältere sind bekannte „Gebete mit Geschichte“ angeführt, die das Leben im Licht des Glaubens in allen Konsequenzen beschreiben und lange nachwirken: Texte von Lothar Zenetti, Franz von Assisi (vermutlich), Papst Johannes XXIII und Dietrich Bonhoeffer.

Segen –Segenswünsche zu verschiedensten Themen sind allgegenwärtig und werden auch im nichtreligiösen Kontext gerne ausgesprochen. In diesem Kapitel sind nur wenige Gebete versammelt, die aber alles umfassen: Es geht um Kinder, um Eltern, um die Welt, um unsere Sorge füreinander und Gottes Sorge für uns.

Immer mal wieder zum Himmel schauen – Meister fallen von dort bekanntlich nicht herunter, daher wurde mit Michael Roher ein Meister aus Niederösterreich für dieses Projekt gerufen. Seine Illustrationen, die sich an der Farbpalette des Covers orientieren (dunkelblau, gelb, orange, rot), greifen die Stimmung der Texte in abstrakter Form als Landschaftsbild oder ganz konkret in der Figurenzeichnung auf. Ob als kurze Szene mit mehreren Personen gezeichnet oder auf einzelne Gesichter reduziert, allen Bildern ist eine beeindruckende emotionale Intensität eigen. Man merkt, dass auch Roher beim Lesen und Zeichnen immer mal wieder zum Himmel geschaut und die Kraft der versammelten Gebete gespürt hat.

Immer mal wieder zum Himmel schauen. – Und dann wieder nach unten, nach vorne, ins eigene Leben. Sonst könnte man ja nicht bei nächster Gelegenheit wieder hinaufschauen. Himmel und Erde, beide Dimensionen gehören zu uns. Und so ist schon der Titel dieser wunderbaren, ermutigenden, innerlich wärmenden Sammlung ein kleines Gebet, weil es auf die „zentrale Dimension“ des Betens verweist: „auf den Blick in den Himmel, über die sichtbare Welt hinaus.“

Simone Weiss


Heidi Lexe über Petra Hillebrand: Weg zu Dir

Das Gebet und ich – wir hatten nie eine sehr innige Beziehung. Dabei geht es nicht um das gemeinschaftliche oder rituelle Gebet – ich liebe zum Beispiel das Beten von Psalmen bei Exerzitien. Aber ein persönliches Gespräch mit der Ewigen in den Worten eines Anderen / einer Anderen führen? Gerade deswegen berührt mich die Vielfalt der Gestalt der Gebete, die Kathrin Wexberg zusammengestellt hat. Weniger, weil sie mir Formel für das eigene Gebet geben, sondern viel eher, weil sie Möglichkeiten eröffnen, Worte für eine – meine – Gottesbeziehung zu finden. Weil sie mein eigenes – oft nonverbales – Beten spiegeln. Dann zum Beispiel, wenn der Weg zu Dir jenen Weg meint, der im Vermissen jener, die uns nahe waren, Zur Ewigen führt. Wenn der Ort, wo du / schon auf uns warten wirst, (in meinem religiösen Verständnis) kein anderer sein kann, als jener bei Gott. Wenn also das Gespräch mit dem / der Verstorbenen nicht nur als Gespräch mit Adonaj verstanden werden kann, sondern Gespräch mit Gott ist. Ein Gebet also. Und damit Trost.

Sarah Auer über Elisabeth Steinkellner: Eine Künstlerin

Angesichts vieler politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen braucht es derzeit eine besondere Art von Resilienz, um die sensorischen Fühler vor Weltschmerz nicht schon vorsichtshalber einzuziehen. Da wirken Sätze wie dieser von Elisabeth Steinkellner beinahe kühn: Eine Menschenfreundin, wer die Welt erdacht. Und doch lohnt es, diesem Gedanken ein Stück weiter nachzuspüren. Das Gebet oder das Gedicht (die Grenzen verschwimmen, so die Herausgeberin im Vorwort) wirft uns auf das Wesentliche unserer Welterfahrung als Homines Sentientes, als fühlende Menschen, zurück. Es lockt uns vorsichtig wieder aus dem Rückzug heraus und macht uns aufmerksam für all die Farben, Formen und Muster, / all die Sprachen, Töne und Melodien, / all die Gerüche und Geschmäcker, / all das Bewegte und Unbewegliche. Ein Raum zum In-Sich-Hinein-Spüren wird geöffnet, der Mut macht, (trotz allem) mit einem liebevollen Blick durch die Welt zu gehen; denn genau dafür klopft ja ein fühlendes Herz unter unserer metaphorisch mittlerweile oft viel zu dicken Haut.

Alexandra Hofer über Lena Raubaum: Halt geben

Ein Bär, dessen Fell von Sternen und dem Mond durchzogen ist und verträumt in den Himmel schaut; an seiner Seite ein lächelndes Kind; die Pfote des Bären liebevoll um die Schultern gelegt. Diese Illustration ziert das Gedicht „Halt finden“ von Lena Raubaum. Zwei Figuren, die einander Halt geben. Halt, der in unser aller Welt ganz unterschiedlich aussehen kann und den es immer braucht: in Form von Beziehungen, Gefühlen, lieben Dingen, die einen umgeben – mal stark, mal leicht, mal gemeinsam, aber niemals einsam. Lena Raubaum legt in die 9 Verse, die dieses Gedicht umfasst, Wärme, Geborgenheit und Achtsamkeit und eröffnet zwischen den Zeilen einen Leerraum, der Platz bietet, um eigene Gedanken, Emotionen und Haltgeber*innen hineinzulesen.
Ich will mich anlehnen … ein Bedürfnis, das für mich als Kind gleichermaßen wichtig war, wie heute als Erwachsene. Zugleich hätte ich mir Gebete, wie jene in diesem Band gewünscht; denn mein Gebetshorizont war damals leider eher auf „Müde bin ich, geh zur Ruh …“ beschränkt. Umso schöner also, diese feine, klug zusammengestellte Gebetsammlung jetzt in den Händen zu haben.

Claudia Sackl über Heinz Janisch: Urschrei

Wie geht beten? Wie betet man „richtig“? Und wie weiß ich, ob ich es auch wirklich richtig mache? Diese Fragen haben mich als Kind immer wieder beschäftigt. Der mir vermittelte normorientierte Zugang zum Gebet war meiner Unsicherheiten leider nicht förderlich, sodass ich meine Versuche, es „richtig“ zu machen, bald einstellte. Dass es nicht zwangsläufig den einen Weg braucht bzw. gibt, habe ich erst viel später und nach vielen Umwegen erfahren. „Immer mal wieder zum Himmel schauen“ findet in dieser Hinsicht facettenreiche Angebote, die es Leser*innen jeglichen Alters ermöglichen, verschiedene Varianten des Betens zu erkunden, den eigenen, ganz persönlichen Zugang zum Gebet zu entdecken – und Fragen zu stellen, die eine*n beschäftigen. Ist ein Urschrei / auch schon ein Gebet? Mit dieser Zeile beendet Heinz Janisch seinen Text „Urschrei“, in dem das Ich einen befreienden lauten Schrei loslässt. Die Antwort darf jede*r für sich finden – und dabei jener Frage nachgehen, die ich auch für mich umformulieren musste: Wie finde ich jene Form des Betens, die sich für mich richtig anfühlt? Vielleicht ist es ein leises Zwiegespräch mit gefalteten Händen. Vielleicht ist es ein stilles In-der-Natur-Sein, oder auch ein lautes Mit-anderen-Menschen-Sein. Vielleicht ist mal so, und dann wieder ganz anders. Vielleicht ist es manchmal ein Urschrei.


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