Kröte des Monats Jänner 2016
Rowohlt 2015
464 S., € 20,60
Kirsten Fuchs: Mädchenmeute
Kirsten Fuchs hat ein rotes Leintuch an eine weiße Wand gespannt. In schwarzen Blockbuchstaben steht ganz oben ihr Name, darunter in weiß der Romantitel „Mädchenmeute”. Die Autorin spricht in die laufende Kamera und lässt die YouTube-Zuseher*innen wissen, dass hier noch etwas fehle. Ihr Blick wendet sich ab, sie spitzt die Lippen, zieht rasch Luft ein. Es entsteht dieses Geräusch, wenn Staubsauger auf Vollkontakt gehen. Nichts passiert. Das zweite Schnalzen fällt länger aus. Nichts passiert. Ein drittes, ein viertes Mal. Fuchs wird leicht nervös. Das fünfte Geräusch wird mit einer heranwinkenden Handbewegung unterstützt. Endlich: Es fehlte ein Hund. Bello (Synonym) wird mit einem Leckerli belohnt und das Publikum vor den Schirmen mit der Vorstellung, wie das inszenierte Buchcover aufgebaut ist, aber auch mit einem Vorgeschmack, wie Kirsten Fuchs Szenen zu kreieren weiß: pragmatisch, humorvoll und mit einer Leichtigkeit, die staatstragende Themen wie Demokratie, Führungsmodelle oder Bündnispolitik interessant sowie lesenswert erscheinen lassen.
Keine Angst, der Roman „Mädchenmeute” ist kein Sachbuch über das feministische Diplomatiehandwerk geworden; (wäre auch nicht schlecht!). Es handelt sich um einen Jugendroman, der von sieben Mädchen erzählt, die ein Feriencamp hinter sich lassen und zwei Wochen in der Natur (über-)leben wollen.
Als am zweiten Tag die Campleiterin verschwindet, ist das anfangs verstörend für die 15-jährigen Mädchen. Rasch rückt aber das einmalige Gefühl der unbegrenzten Möglichkeiten in den Vordergrund: „So frei sind wir nie wieder. Nie wieder in unserem Leben.” In dieser Phase der Erzählung wird auch das Schmuckstück der Fuchs’schen Erzählform freigelegt: Die Verschränkung eines spannenden Plots und einer Figurencharakterisierung, die humorvoller nicht sein könnte. Das Spektrum reicht von Beschreibungen ganzer Personengruppen (Männer und die fehlende Logik hinter deren Machtbesitz) bis hin zu kleinen Beobachtungen, die den Leser*innen rasch und eindrücklich vermitteln, mit welchen Figuren sie es hier zu tun haben:
„Alles an ihr schlenkerte herum. Sie war in der Phase, wo wir immer die Katzen weggaben. Sie waren noch niedlich, aber konnten geradeaus laufen. [...] Sie sagte mit Kinderstimme, dass sie Antonia hieße. Ich bildete mir ein, dass sie nach Vanille roch. Vielleicht war sie in Wirklichkeit ein Keks.”
Erzählt wird von sieben Mädchen und deren aufregender Auszeit von der Zivilisation. Erzählt wird das allerdings aus der Perspek-tive von nur einem Mädchen und deren unaufgeregten Blick auf die Zivilisation. Die Ich-Erzählerin Charlotte Nowak spricht in ihren Gedanken wesentlich mehr aus als in der Figurenrede und wird durch ihre ruhige Art zum sozialen Puffer der „Mädchenmeute”; der titelgebende Ausdruck wird in der medialen Berichterstattung geprägt. Denn die Mädchen reifen innerhalb kürzester Zeit zu lokalen Berühmtheiten heran. Auch darüber denkt Charlotte nach, mehr allerdings über den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe, über ein mysteriöses DDR-Geheimnis und über eine ebenso schaurige Sage aus dem Erzgebirge. Denn dort hausen die Mädchen während der zwei Wochen, in einem alten Bergwerksstollen und befinden sich somit in diesem zivilisatorischen Schwellengebiet, das schon bei Gus van Sants „Gerry” (2002) oder in „Into the wild” (2007) die Fragen nach nahegelegener „Wildnis”, nach halbseidener Isolation und nach dem „richtigen” Aussteigen aufwirft. Für die Mädchen steht allerdings von Anfang an fest, dass es sich um einen Versuch auf Zeit handeln müsse.
Der Autorin ist der erzählerische Versuch doppelt gelungen: Der Plot bleibt auf über 400 Seiten spannend, in dem er nicht unnötig von langwierigen Selbstfindungsprozessen der einzelnen Figuren korrumpiert wird. Und Kirsten Fuchs gelingt es, Spannung und Humor auf allen Ebenen zusammenzuführen.
Peter Rinnerthaler
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