Kröte im Sommer 2015
Gerstenberg 2015
40 S., € 15,40
Aaron Becker: Die Reise
Wie eröffnen sich für Kinder Phantasieräume?
Wer Kinder beim Spiel beobachtet, wird bemerken, dass sich das (für den Erwachsenen sichtbare) Alltägliche längst in abenteuerliche Szenerien und magische Requisiten verwandelt hat; die kindliche Realität wird dabei spielerisch verdoppelt (und damit aufbereitet), oder schlicht verlassen. Wie die vorgestellten Räume aussehen, ist für den beobachtenden Erwachsenen nicht erkennbar.
Aaron Becker jedoch gibt einen Eindruck davon und nutzt dabei die Möglichkeit entgrenzter Bildwelten, die ineinander übergehen. Aus dem gezeichneten Kreidestrich entsteht ein Portal, das hinüberführt; aus diesem Kreidestrich entstehen aber auch ein Bott, ein Ballon oder ein fliegender Teppich, mit deren Hilfe die Schwerkraft zunehmend aufgehoben und die Weiten zwischen Himmel und Erde geöffnet werden. In sich verschachtelte Städte mit blauen Dächern und goldenen Kuppeln gehen über in eine Steam-Punk-Welt der Luftfahrt; Pagogendächer gehen über in den Sternenhimmel der Wüste, vor deren Horizont sich Minarette abzeichnen. Ganz dem Motiv der Fantasiereise entsprechend löst der Raum sich auf und weicht der wundersamen Schau-Welt in der Tradition der Abenteuerliteratur.
Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Reise dennoch im kindlichen Alltag: Dort, wo eigentlich noch Widmung und Impressum des Bilderbuches stehen, fällt der Blick auf eine Straßenschlucht, die im New York von heute gleichermaßen verortet sein könnte wie in anderen Großstädten. Und die in Farbgebung und Arrangement der Requisiten ein wenig aus der Zeit fällt.
Dort, in dieser Straßenschlucht, hockt ein Mädchen vor einem Haus und blickt unglücklich ob der um sie herum „statt“findenden Ereignislosigkeit. Ihr roter Roller lehnt am Geländer, die Mitglieder ihrer Familie sind mit anderen Dingen beschäftigt und ignorieren die implizite Spielaufforderung des Mädchens nicht einmal. Mit dem Kinderzimmer, in das sich das Mädchen zurückzieht, schrumpft der Aktionsraum plötzlich auf den Zimmerrahmen eines Puppenhauses. Die Begrenzung des Raumes entsteht weniger aus dessen Komposition, als vielmehr durch die mangelnde Bewegung der Figuren im Raum. Einzig die mit roter Farbe in die Sepia-Familienwelt gesetzten Spiel-Utensilien des Mädchens (Roller, Drachen und Ball) deuten die Möglichkeit von Bewegung an. Doch niemand reagiert.
Erst der rote Stift befreit das Mädchen aus diesem familiären Guckkasten-Bild und öffnet die phantastische Schwelle in einen Wald voller Weite, Licht und Wasser, in dem der Raum sich ins Unendliche zu dehnen scheint. Jeweils im Weißraum einer neuen Seite platziert Aaron Becker dann auch weitere kleine Bild-Folgen, in denen sich das Mädchen mit ihrem roten Stift neue Fortbewegungsmöglichkeiten kreiert und in den jeweils doppelseitig ausgebreiteten Aktions- und Anschauungsraum hinübergleitet.
Die eigentliche Geschichte entsteht durch die Eroberung dieser Bildwelten durch das Mädchen gleichermaßen wie durch den Blick der Betrachter*innen. Denn das textlose Bilderbuch erzählt nur entlang der Reise des Mädchens durch den Raum – und flicht darin eine kleine Verfolgungsjagd ein, in die auch ein lila Vogel mit langen Schwanzfedern involviert ist. Der Vogel und das Mädchen befreien einander und finden gemeinsam zurück zu einem Weltenportal. Doch siehe da: Diesmal ist die kleine Tür, die jener im Kaninchenbau durchaus ähnelt, lila. Und nicht rot. Dennoch führt sie wieder zurück in jene Straßenschlucht, in der die Geschichte ihren Ausgang genommen hat. Sie war übrigens bereits am ersten Bild zu sehen – dort, wo ein Junge mit dem lila Stift in der Hand steht. Zu Beginn wird ihm natürlich keine Beachtung geschenkt, doch nun liegt in der Begegnung mit ihm der Ausgangspunkt einer neuen Geschichte …
Die besondere Kraft von Aaron Beckers Bilderbuch liegt in dessen Langsamkeit; in dessen Stil-Prinzip, Welten illustratorisch detailliert zu durchstreifen ohne in ihnen zu verharren. Die Reise, die daraus resultiert, spielt sich fern von All-inclusive-Angeboten ab und führt zurück in eine vorgestellte Welt, für die wir mit dem und im Sommer Platz in unseren Köpfen schaffen sollten.
Heidi Lexe
Wer in diesem Sommer nicht in die Ferne reisen möchte, sondern lieber ganz gemütlich im Garten abhängen will, dem sei auch unsere inoffizielle 2. Kröte des Sommers ans Herz gelegt. Rezension von Sofia Lexe:
Ill. v. Eva Muszynski
mixtvision 2015
96 S., € 13,30
Saskia Hula: Elvis im Einsatz
„Im Sommer hatte Elvis viel Zeit.“
Also überlegt Elvis, ein Fundbüro aufzumachen. Das tut er auch. Er benutzt das kleine Gartenhaus. Doch genau in diesem Moment will niemand etwas finden. Also bummelt Elvis die Straße entlang. Elvis schaut über den Nachbarszaun und sieht das nette Nachbarsmädchen Annarita. Die beiden Kinder beschließen, dass sie das Fundbüro ab nun gemeinsam führen. Doch sie müssen sich die verlorenen Sachen erst selbst klauen. Dabei finden sie eine Geldtasche, die anscheinend niemanden gehört. Die Kinder beschließen in die Geldtasche hinein zu schauen. Darin finden sie einige Ausweise und auf jedem dieser Ausweise ist ein Foto zu sehen. Kann damit der Besitzer der Geldtasche gefunden werden? Nach langem hin und her beschließen die beiden zur Polizei zu gehen. Dort ruft ein netter Polizist den Besitzer an und ein gewisser Herr Singelmann holt seine Brieftasche ab. Als Belohnung bekommen die Kinder 10 Euro. Eine gute Grundlage, um im Sommer ein Eis zu essen, und neue Pläne zu schmieden. Zum Beispiel, Polizeieinsatz zu spielen. Auch dabei gibt es wieder einen spannenden Fall zu lösen …
Ich würde dieses Buch als spannende und lustige Sommergeschichte empfehlen.
Sofia Lexe ist 10 Jahre alt und lebt in Villach. Am 14. Juli hat sie erstmals ein STUBE-Praktikum absolviert.
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