Kröte des Monats März
2015
Aus dem Dänischen von Maike Dörries.
Gerstenberg 2014
Kim Fupz Aakeson/ Julie Völk: Das Löwenmädchen.
„Louise hat einen eigenen Löwen.“ – „Wie bitte?“ Ungläubig hakt eine Stimme im Buch nach, tritt in Dialog mit dem Erzähler. Ein Dialog, wie Louise ihn schon lange nicht mehr führt: Seit sie Löwe hat, spricht sie mit niemandem mehr, und sie wird auch selbst nicht mehr angesprochen und geärgert. Nach einiger Zeit ist zu dieser äußeren Sprachlosigkeit noch eine innere getreten – Louise kennt die Namen der Menschen um sie herum nicht mehr, nennt sie einfach „Kinder“ und „Lehrer“. Auch Löwe hat keinen Eigennamen, er heißt einfach „Löwe.“ In seiner Gestalt ist Louises ganze Vorstellungskraft und emotionale Energie zentriert. Löwe ist immer bei ihr, beschützt sie, hört ihr zu. Er kümmert sich um Louise wie sie sich um ihn. Wenn er traurig ist und seine Familie daheim in Afrika vermisst (so wie Louise wohl ihre Mutter, die keine Zeit für sie hat, und den Vater, der generell abwesend ist), dann kann nur sie ihn trösten.
Wo Löwe ist, wird das Leben strahlend für das einsame Mädchen. Bis ein Eindringling die Realität ihre Fantasiewelt bedroht. Der neue Nachbar – ein Großwildjäger, ohne Zweifel – zwingt Löwe in den Schrank. Louise, scheinbar ganz auf sich allein gestellt, ist wieder der Welt ausgesetzt, vor der sie sich so lange versteckt hat ...
Überdimensional groß und bedrohlich lässt Illustratorin Julie Völk die Menschen aussehen, wenn Löwe im Schrank sitzt. Bis der große Großwildjäger auch optisch ein harmloser Mann (der neue Freund der Mutter? Da seine Freundlichkeit Löwe verschwinden lässt, war Louises Vater vielleicht der Grund für Löwes Auftreten?) wird, dauert es mehrere Seiten.
Die warme, schützende Kraft des imaginierten Freundes zeigt Julie Völk durch helles Gelb, das den ganzen – ebenfalls überdimensional großen – Tierkörper ausfüllt und über seine Umrisse hinaus auch Louise umfließt. Farblich dominiert Bleistiftgrau, durchsetzt durch die roten Wangen, die Louise sichtbar noch mit den anderen Menschen verbinden. Aufmunternd wirkt die Farbe aber nicht, ebenso wenig wie das kalte Blau von Louises Haus. Denn gegen das kräftige Gelb des Löwenfells wirken die anderen Farben blass. Löwe ist mehr als nur ein Farbtupfer in der überwiegend grauen Welt, er ist ihr Zentrum. Automatisch wandert der Blick zu dem strahlenden Licht, sodass man nicht sofort bemerkt, was die Illustratorin in ihrem Erstlingswerk noch alles geschaffen hat: Da ist zum Beispiel die (realgroße) Katze, die sich auf jeder Seite herumtreibt und am Ende des Buches auf dem Balkongelände neben Louise steht. Oder der Drache, der freundlich und unbeachtet neben einem ängstlich wirkenden Jungen in der Schule hervorschaut und sich vermutlich gut mit Löwe vertragen würde … Ist man erst nicht mehr vom Löwengelb geblendet, sieht der Alltag bei allem Grau doch sehr faszinierend aus.
Simone Weiss
Passend zur Kröte des Monats findet am 20. März 2015 ein STUBE-Freitag mit der Künstlerin Julie Völk statt, zu dem wir herzlich einladen: Unter dem Motto "Go-Go Gelb" präsentiert das Team der STUBE Kinder- und Jugendliteratur zur leuchtendsten aller Farben und bittet im Anschluss die Illustratorin zum Werkstattgespräch.
Nähere Informationen und das gesamte Veranstaltungsprogramm der STUBE für den Frühling finden Sie >>> hier
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