Kröte des Monats Dezember
2013

Wiener Dom-Verlag 2013.
26 S., € 14,90.
Linda Wolfsgruber: Arche
In einer Rezension war kürzlich zu lesen, wie herrlich es nicht sei, dass endlich ein Arche Noah-Buch erschienen ist, in dem Gott nicht vorkommt. Reicht, so fragt man sich, die Skepsis gegenüber konfessionellen Positionen und institutionalisierter Glaubenslehre so weit, dass bereits Fragen nach der Beziehung zwischen Gott und Mensch katechetisch begriffen werden? Gehören nicht gerade biblische Erzählungen zum kulturellen Grundbestand jeder Gesellschaft; zeichnen sich in ihnen nicht zentrale menschheitsgeschichtliche Fragestellungen ab? Und ist „Gott“ im Diskurs dieser Fragestellungen hinderlich?
Gerade die Geschichte von der großen Flut taucht in all jenen Mythen und Epen auf, die einer auf Sprache basierenden, kulturgeschichtlichen Entwicklung zu Grunde liegen. Sie erzählt von einem Neubeginn der Welt, die einst aus dem Chaos erschaffen wurde. Aus jüdischer und christlicher Sicht ist daraus der Garten Eden entstanden, in dem die Menschen Gott gleich leben durften. Das Moment der Erkenntnis führte erstmals zum Bruch dieser Beziehung zwischen Mensch und Gott und zur Vertreibung aus dem Paradies.
In Genesis 6 (Noah und die Sintflut) wird die Bosheit der Menschen noch einmal ins Chaos rückgeführt, aus dem ein neuer Bund mit Gott entsteht. …und so wurden alle gerettet! heißt es auch folgerichtig im fast textlosen Bilderbuch von Linda Wolfsgruber, in dem die biblische Geschichte nicht nacherzählt oder neu erzählt wird, sondern mit den künstlerischen Mitteln der Reduktion auf deren zentrale Motive verwiesen wird.
Es begann zu regnen …
Dieserart setzt Linda Wolfsgruber ein und impliziert in dem beginnenden Losrennen der Tiere die biblische Vorgeschichte. Denn hier stellen sich die Tierchen nicht in hübschen Zweierreihen an, sondern visualisieren eben jenes Chaos, aus dem die Schöpfung neu geboren wird: Wilder Strich und Farbgebung vermischen sich, der Raum wird aufgehoben, wenn Getier aller Art in eine Richtung zu drängen beginnt. In pastellener Farbintensität werden in den Monotypien die Figuren übereinander geschoben; die einen erscheinen wie die Schatten der anderen, manche in ihrer Zweisamkeit erkennbar, manche schon über die Wegstrecke hin getrennt. Als einziges Ordnungssystem erscheint die Benennung der Tiere – doch auch sie fügt sich als Bildelement so sehr an die Figuren, als würde rasch noch festgehalten, wer aller den Rettungsversuch unternimmt. Eine an Herbarien gemahnende Ordnung ist längst obsolet, wenn Säugetiere, Vögel und Fische ineinander überzugehen scheinen, nur noch Köpfe oder Flossen aus dem Versuch herausragen, das dynamische Geschehen in raschen Buntstift-Skizzen festzuhalten. Gespielt wird trotz Doppelseitenkonzept mit der Form des Leporellos: Immer neue Seiten werden aufgefaltet, gehen nur durch den Seitenschnitt, nicht aber durch illustratorische Begrenzungen ineinander über, als die endzeitliche Fliehkraft die Tiere in Richtung der Arche treibt.
Als die Arche erreicht ist, hat die Welt sich in wässrig-dunklem Blau und Grün eingefärbt und hoffnungsvolle Blicke werden zum Schiff, aber auch aus dem Bild heraus geworfen. Die nachhaltig durcheinander geratenen Größenverhältnisse explizieren an diesem Punkt die sinnbildliche Kraft der Arche im Sinne einer biblischen Erzählung, die nicht historische Realität abbildet, sondern aus ihrem Symbolgehalt heraus zu deuten ist: In der Arche finden jene Platz, die an Gott glauben, die seinem Schöpfungswillen verbunden sind, ihn repräsentieren. Dieser feste Glaube zeigt sich in der Festigkeit der Arche, die hier nicht auf Wellen hochgehoben und durch die Stürme der Sintflut geschleudert wird. Vielmehr ist sie die Konstante in einer Welt des Untergangs – bis zu jenen wunderbaren, in nächtliches Schwarz und Blau getauchtem Bild, in dem das Aufgehen der Sterne parallel geführt wird zu den sich hoffnungsvoll öffnenden Augen der Tiere.
Der Bilderzählung wird die biblische Geschichte am Ende des Buches zur Seite gestellt – erzählt von Linda Wolfsgruber in ihren eigenen Worten. Hier werden der Bund mit Gott und dessen Symbol, der Regenbogen, benannt. In der Bilderzählung selbst verdichtet sich dieser Bund in den wenigen Worten …und sie alle waren gerettet. Indem Noah als Figur ausgespart wird, wird mit diesem Moment der Rettung umso deutlicher auf Gott selbst verwiesen: Noah wird als Symbolfigur ausgespart, das Moment der Rettung (der Bund) auf alle Lebewesen übertragen, deren Blick in eine neue, aus dem Chaos geborene Zukunft fällt.
Heidi Lexe
Im nächtlichen Sternenhimmel, den das Schlussbild zeigt, vervielfältigt sich die Hoffnung auf jenen Stern, der dereinst über einem Stall in Betlehem aufgehen wird.
Daher hat die STUBE sich dieses Bild von Linda Wolfsgruber als Sujet für ihre Weihnachtskarte gewünscht. Unser Dank geht an die Künstlerin und unseren Grafiker Geri Zotter, der aus dem Bild einen wunderschönen Weihnachtsgruß gestaltet hat.
Verstanden wissen möchte das STUBE-Team diese Weihnachtskarte und diese Kröte auch als besonderen Dank an die Mitarbeiterinnen des Wiener Dom-Verlag, in dem das Bilderbuch erschienen ist. „Arche“ wird das letzte Buch des Wiener Dom-Verlags sein, das eine Kröte erhält, denn die Geschäftsführung des Medienhauses der Erzdiözese Wien hat im Rahmen eines neuen Medienkonzeptes entschieden, die Kinderbuchproduktion des Wiener Dom-Verlags nicht fortzuführen.
In wenigen Jahren hat sich mit diesem Kinderbuch-Programm ein Angebot an der Schnittstelle von Kunst und Kirche etabliert, das einen Diskurs religiöser, sozialer und ethischer Fragen mit literarischen Mitteln aufgegriffen und gezeigt hat, welche wichtige Rolle Kinderliteratur spielt, wenn es für Kinder darum geht, sich in menschheitsgeschichtliche Fragestellungen einzuüben und Sprachkompetenz für ihre Antworten zu entwickeln. Obwohl in einem Wiener Kleinverlag erschienen, hat diese Buchproduktion breites öffentliches Ansehen erreicht und zahlreiche renommierte Preise erhalten – darunter auch den Katholischen Kinderbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz. Für österreichische Künstler*innen hat der Wiener Dom-Verlag neue Möglichkeiten der Zugehörigkeit in einer minimierten österreichischen Verlagsszene geboten; für uns als Literaturkritiker*innen, Literaturvermittler*innen, Literaturwissenschafter*innen und Literaturliebhaber*innen hat er darüber hinaus wunderschöne Bücher gemacht.
Liebe Inge Cevela, liebe Katrin Feiner, liebe Barbara Kornherr, danke für alle diese ganz besonderen Bücher, auf die ein zweiter Blick im Sinne der Kröte des Monats immer gelohnt hat!