Kröte des Monats September 2012
Atlantis 2012.
32 S., € 20,50.
Einar Turkowski: Der Rauhe Berg
Eine Professorin oder ein Professor der Germanistik, über das Recherchieren im Allgemeinen sinnierend, hielt einmal fest, dass das interessantere Buch immer neben dem eigentlich gesuchten Buch zu finden sei. Ähnliches lässt sich auch über die Arbeit mit Sachwörterbücher behaupten. Dem Ratschlag folgend, empfiehlt es sich bei der Vergewisserung der Bedeutung des Begriffes "Parabel" im Unterschied zu "Fabel" und "Gleichnis" beispielsweise in Gero von Wilperts "Sachwörterbuch der Literatur" einen Blick auf die Definition von "Parabelstück" zu werfen: Bertolt Brecht als beispielgebender Autor und begrifflich umstritten bei "weniger ausschließlicher Lehrhaftigkeit." Zwei Begriffe zurück, dem nachgeschlagenen Wort vorangestellt, wird der Begriff "Parabase" erklärt. Aus dem griechischen übersetzt, bedeutet es "Danebentreten" bzw. "Abschweifung" und wird als Epilog eines Theaterstücks verstanden, der die dramatische Illusion zerstören soll. Eine Demaskierung also, im Sinne der Abschweifung, die die Methode von Rezensent*innen offenlegen kann oder im Sinne des Danebentretens, wie im Fall des Klappentextes von Einar Turkowskis Neuerscheinung, der die Gestaltungsform des Bilderbuches entlarvt: "Die Künstlerparabel eines Buchkünstlers".
"Der Rauhe Berg" scheint sich bereits in der hochformatigen Gestalt (20x35 cm) des Bilderbuches widerzuspiegeln, die Turkowski auf den ersten Seiten allerdings noch nicht vollständig auskostet. Die zunächst mehr in Schwarz als in Weiß gehaltenen Illustrationen werden samt Text in das obere Drittel der hohen weißen Seiten positioniert und lassen viel Platz für Vorstellungen über "einen Berg mit einem unheilvollen Namen" und die mehrdeutigen Geschichten, die man sich über den Rauhen Berg erzählte. Ein querformatiges Bild pro Seite und geheimnisvolle Warnungen führen so die Betrachtenden an die Flanken des Berges heran, bevor zum ersten Mal zwei ganze Doppelseiten dazu verwendet werden, um 36 vorstellbare Bergminiaturen aneinander zu reihen. Während die vielen Rauhe-Berg-Variationen, die sich mehr als exzentrische Felsblöcke gebärden, dazu verleiten mit dem Bleistift selbst einen eigenen Brocken in die Reihe einzufügen, kann der "tatsächliche" Fuß des Berges, nun komplett im Hochformat realisiert, durchaus einschüchternde Wirkung haben.
An dieser Stelle betreten ein scheinbar furchtloser Abenteurer und der Leitspruch der Parabel die Erzählung: „Ein merkwürdiges kleines Schild empfing ihn: »Sieh, wenn Du kannst«" Die personale Erzählung folgt dem Mann mit kurzen, aber durchaus poetischen Sätzen durch steile Felsformationen, die mehr und mehr mit rätselhafter Symbolik aufgeladen werden: "Steil war der Weg, mühsam und beschwerlich." Parallel zur verunsicherten Gefühlslage des Bergsteigers kehren distanzierte, querformatige Illustrationen zurück, die einen schwarz kolorierten Hintergrund abbilden, keinen Horizont erkennen lassen und somit den Fokus ausschließlich auf den Rauhen Berg legen. Hinter verwinkelten Felsen, fast undurchdringlichen Wäldern und langgezogenen Wegbiegungen, die oft mehr verhüllen als sie zeigen können, verbergen sich Dinge und Gestalten, vor denen die Menschen seit jeher warnten. Als es keinen Ausweg mehr zu geben scheint, der Mann den warnenden Geschichten verfällt und glaubt Dinge bereits anders wahrzunehmen, bekämpft er den Berg mit dessen eigener Waffe: Fiktion.
Der Aufforderung "Sieh, wenn Du kannst" wird kurz vor dem Ziel die Frage: "Siehst Du?" entgegengestellt und trägt die Antworten für die/den bergsteigende/n als auch für die/den kunstschaffende/n AbenteurerIn in sich. Die Parabel unterscheidet sich definitorisch übrigens von der Fabel durch die Konzentration auf einen einzigen Analogieschluss und zum Gleichnis durch den Verzicht auf die Verknüpfung zu einem ausgewiesenen Sachverhalt.
Peter Rinnerthaler
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