Kröte des Monats Juni 2012
Ill. v. Susann Opel-Götz.
Oetinger 2012.
320 S.,
€ 14,40.
Susann Opel-Götz: Außerirdisch ist woanders
Wenn man einen dicken Sprüche-Kalender voller Lebensweisheiten vor sich hat, woran kann man dann erkennen, welche davon die richtigen und welche die idiotischen sind? Warum sind manche Fragen und Themen TABU? Und überhaupt, woher kommt das Wort TABU eigentlich – und wenn es einen Geruch hätte, würde es dann riechen wie in Henris Treppenhaus in der Wasenfeldsiedlung?
So viele Fragen können nicht einfach offen bleiben. Und wenn sie von den Erwachsenen nicht beantwortet werden, dann muss man sich eben so seine Vorstellungen dazu machen. Der zehnjährige Jona ist ein Meister darin, sich in seinem inneren Geheim-Kino im Kopf Bilder zusammenzubasteln und sie
"vor" seine Realität zu "stellen". Als durch den neuen Schüler Henri seine größte Überzeugung, nämlich einmal einen Außerirdischen zu treffen, scheinbar wahr wird, fängt der Kopf-Kino-Film erst richtig an.
Jona hat es als Sandwich-Kind zwischen dem in der "Rotzphase" steckenden Wolle und der "aus Pubertätsgründen in der Motzphase" befindlichen Lollo nicht leicht, da kommt ihm ein Alien als Bestätigung seiner jahrelangen Vermutung zur Stärkung seines Selbstwertgefühls ganz recht. Seine neue Freundschaft mit Henri und ihr gemeinsames Geheimnis seiner extraterrestrischen Identität stellen Jona aber bald auf eine harte Probe, in der er Mut und Solidarität beweisen muss. Denn die wenigen Informationen, die der schüchterne Henri über sich preisgibt lassen bald vermuten, dass er vielleicht doch nicht aus einer entfernten Galaxie kommt, sondern vielmehr aus einem sozialen Randgebiet und Brennpunkt…
In der Erzählung seiner und Henris Geschichte schweift Jona immer wieder ab und zeigt seinem Publikum, wie er sich seine Welt erklärt und welche Vorstellungen er sich vom Leben seines Freundes macht. Aber "wenn man sich etwas vorstellt, kann man sich täuschen." Und dieser Tausch der imaginierten Bilder mit denen der Wirklichkeit ist gut oder eben nicht – und manchmal spielt das auch gar keine Rolle.
Susann Opel-Götz erzählt mit Wortwitz und viel Fingerspitzengefühl eine Geschichte der Freundschaft mit einem Alien, also einem Fremden, und es ist "völlig in Ordnung, wenn man jemanden, über den man überhaupt nichts weiß, erst einmal fremd findet." Man muss sich nur die Mühe machen, die Brücke zu finden, denn: "Es gibt im Leben immer eine Brücke. Wenn nicht drüber, dann untendurch."
Rosemarie Merl
>>> hier geht es zu den Kröten 2012