Kröte des Monats Mai
2012
Bloomsbury 2012.
32 S.,
€ 14,40.
Heinz Janisch / Ingrid Godon: Rita
Mut. Für viele ein schwieriges Wort und eine noch viel schwierigere Tat: Mut zu beweisen. Wie wird Mut aber definiert und wer kann mutig sein? Diese Frage stellt Heinz Janisch von der ersten Seite an seinen Leser*innen. Trotz des Titels "Rita. Das Mädchen mit der roten Badekappe" ist in den Illustrationen von Ingrid Godon aber seitenweise kein Mädchen sichtbar – geschweige denn eines mit einer roten Badekappe. Stattdessen trifft man auf einen Matrosen an einem Kai, zwei Zeppeline am dunkelgrauen Himmel, ein Labyrinth, einen Seiltänzer und eine Achterbahn. Dann erst kommt Rita. Vorher aber stellt sich die Frage, was die ersten fünf Motive miteinander verbindet: Mut.
So scheint der blau-grau schattierte Matrose voller Furchtlosigkeit und Hoffnung, wenn er einsam am Pier steht und aufs Meer hinausblickt – ungeachtet der dort möglichweise lauernden Gefahren. Die angedeuteten Wellen und die Bewegungslinien an der Figur selbst sorgen dabei für die nötige Unruhe und Aufbruchsstimmung. Dieser entgegen gesetzt werden auf der folgenden Doppelseite zwei riesige Zeppeline über der (Groß-) Stadt. Obwohl im Text nur von einem Luftschiff die Rede ist, verdoppelt es sich auf der Bildebene. Und so schweben zwei Luftschiffe ruhig und dominant durch das Bild, warnen vor der Gefahr der Höhe und der Angst zu fallen. Wer dort oben mitfliegt, der braucht Mut. Den braucht man(n) bzw. auch das kleine Mädchen im roten Kleid, wenn es sich in das große Labyrinth auf der nächsten Seite aufmacht. Das Ganze erinnert dabei ein bisschen an Alices Abenteuer im Wunderland, wenn mitten im Irrgarten ein Loch im Boden mit einer Leiter darin (auf sie?) wartet. Eine Leiter, die die Bildgrenzen sprengt und auf die nächste Seite drängt, um dort quasi fortgesetzt zu werden. Fortgesetzt von zwei Leitern, die das Seil des Seiltänzers spannen. Dieser balanciert wagemutig und dank der erneut gekonnt gesetzten Bewegungslinien offensichtlich schwankend vor einem zirkusartig gestreiften Hintergrund. Die Farben, anfangs noch verhalten und gräulich vernebelt, beginnen stärker zu werden. Und so leuchtet auch das Gerüst der Achterbahn auf den nächsten Seiten in dunkelrot und pink. Die einzelnen Fahrspuren der Jahrmarktsattraktion wirken wie ein einziges Strich- Kuddelmuddel. Eine einsame Bahn führt aus dem Bildrahmen hinaus und transportiert einen Jungen in seinem Waggon über die Abgründe. Wer sich so etwas traut, muss mutig sein!
Warum aber Rita, das Mädchen mit der roten Badekappe, das man nach erneutem Umblättern kennenlernt, in dieses Schema passt, ist nicht gleich klar. Dabei sagt der auktorial-personale Erzähler sogar, dass nichts von all den bisherigen Dingen ihn so beeindruckt, wie eben diese Rita, die er gerade beobachtet.
Rita, die vom gewagten Drei-Meter-Brett aufs Ein-Meter-Brett und schließlich auf den Beckenrand herunter klettert, vom dem aus sie ins Wasser gleitet. Die aufs Wesentliche reduzierte Geschichte erzählt mit wenigen Worten worin Ritas Tapferkeit letztendlich besteht. Unterstützt wird der Erzählgestus von demenentsprechenden Illustrationen: Collagenhaft und mit einfachen Strichen breitet sich die grün-türkisfarbene Welt, in der Ritas rote Badekappe komplementär-farben und geradezu neckisch hervorblitzt, vor einem aus.
Feige, springt die nicht mal vom Ein-Meter-Brett, denkt sich der Junge in der grünen Badehose, der die ganze Szenerie neben dem Erzähler beobachtet hat und ruft: "Feigling!" Rita aber sieht ihn bloß kurz an und meint: "Fische springen nicht von Türmen" – und dafür braucht es gleich doppelt Mut.
Elisabeth von Leon
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