Kröte des Monats Dezember
2010

Ravensburger 2010
128 S., € 15,40
Franz Kafka / Stefanie Harjes: Kafka
Kafka also. Es gibt wohl kaum einen Autor, zu dem nicht jede und jeder ein so festgelegtes Bild im Kopf hat (auch wenn dieses mehr von kursorischer Schullektüre als von intensiven Leseerfahrungen geprägt sein mag): Die Ausweglosigkeit des "Prozeß", die Verunsicherung der "Verwandlung", die Verzweiflung des "Briefs an den Vater". Dieser oft mit Kafka verbundenen Düsterkeit und Schwere wollte Stefanie Harjes mit ihren Illustrationen bewusst entgegensteuern, die weniger beachtete leidenschaftliche Seite an ihm zum Vorschein bringen, so berichtete sie im November bei einem Werkstattgespräch in der STUBE. Anders als bei den bisher von ihr illustrierten Stoffen der Weltliteratur hat sie die Textauswahl hier selbst vorgenommen – und sich dafür sehr genau mit Kafkas Werken auseinandergesetzt. Die Intensität dieser sehr persönlichen künstlerischen Begegnung ist auf jeder Seite spürbar: Die verstörenden, oft rätselhaften Texte werden von Bildern begleitet, die ebenfalls meist in der Nacht entstanden sind. Der eigene Arbeitsprozess wird dabei immer wieder unterbrochen, etwa wenn sich Harjes' alter ego Betty Protest zu Wort meldet – und damit Ausblicke aus der Geschlossenheit der Texte bietet. Gekritzelt, collagiert und gestempelt, in knalligem Pink genauso so wie in asketischem Schwarz-Weiß finden sich Bildkompositionen, die nicht der Versuchung erliegen, Franz Kafkas Texte ausdeuten zu wollen, sondern vielmehr ihrer Rätselhaftigkeit und Vielschichtigkeit visuell nachspüren. Die im Rahmen der Schullektüre oftmals strapazierte Leitfrage "Was wollte uns der Autor damit sagen?" wird hier bei der Interpretation konsequent verweigert: Harjes versucht niemals, den Texten eine Aussage abzuringen, sondern nähert sich ihnen in Form von stark durch das Figurale geprägten Momentaufnahmen, von möglichen Annäherungen. Dieser respektvollen Zurückhaltung entspricht auch der deutliche Versuchscharakter der Bilder: Handschriftliche Notizen, Durchstreichungen, sogar Übermalungen signalisieren, dass jede Kafka-Lektüre letztlich immer ein Versuch bleiben muss. Kafka also: Gewiss keine leichte Kost für den Advent – dafür aber ein umso schöneres Geschenkbuch für all jene literaturinteressierten Menschen, die Lust haben, ihr bisheriges Kafka-Bild gehörig ins Wanken zu bringen.
Kathrin Wexberg
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