Kröte des Monats September 2010
Mit Bildern von Ulf K.
Aus dem Schwed. v.
Friederike Buchinger.
Gerstenberg 2010
168 S., € 13,40
Frida Nilsson: Ich, Gorilla und der Affenstern
Jonna verbringt ihre gesamte Kindheit in einem Waisenhaus, bis eines Tages ein klappriger Volvo die frisch geharkte Auffahrt hinauffährt und die darin sitzende Gorillafrau das Mädchen adoptiert. Von da an lebt sie mit ihrer neuen Mutter in einer heruntergekommenen Wohnung auf einem Schrottplatz und lernt ganz nebenbei noch Autofahren. – Der Teil mit dem Gorilla ging Ihnen ein wenig zu schnell und viel zu selbstverständlich erzählt über die Bühne? Dann haben Sie bereits eine der Essenzen dieses schwedischen Kinderromans nachempfunden. Wie in der literarischen Form einer Novelle könnte auch hier als unerhörte Begebenheit das menschliche Agieren eines Tieres im Mittelpunkt der Erzählung stehen. Doch dient die Figur der Gorilla-Mutter nicht als Anlass für Pointeneskapaden über Bananenfixierung, auf Bäume klettern etc. Vielmehr steht sie als Symbol für Menschen, die auf Grund ihres Äußeren an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Und so müssen Gorilla (denn Bezeichnung und Eigenname sind hier ein und derselbe) und Jonna, das Mädchen, das als einziges sich dem strengen Ordnungs- und Sauberkeitsregiment der Heimleiterin widersetzt, schon fast zwangsläufig zueinander finden.
"Meine Haare wurden immer struppiger und meine Jeans dreckiger und dreckiger. Eigentlich konnte ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, dass es Menschen gab, die es anders lieber mochten. Wer hatte schon Zeit, sich zu waschen und Betttücher auszuschütteln […] oder auf Gorillas Schoß zu sitzen, Eierbrote zu essen und dem Regen zuzuhören […]."
Doch selbstverständlich verläuft die Annäherung zwischen den beiden nicht komplett reibungslos. Die Ich-Erzählerin muss sich selber erst durch gemachte Erfahrungen in die Lage versetzen, den humorvollen, unkomplizierten und warmherzigen Kern Gorillas jenseits des ungewaschenen und ungeordneten Äußeren zu erkennen. Aber nachdem dieser Zustand der immer stärkeren Annäherung und Zuneigung angebrochen ist, tritt plötzlich eine äußere Bedrohung auf den Plan: Der raffgierige Bürgermeister will unbedingt das Grundstück des Schrottplatzes aufkaufen, um dort "das größte Schwimmbad Nordeuropas" zu errichten. Und um sein Ziel zu erreichen, schreckt er auch vor Intrigen und Betrug nicht zurück, sodass nach einem ersten Happy End der Kinderroman noch einmal zu einem tempo- und spannungsreichen Schlussspurt ansetzt.
Nach "Ich, Dante und die Millionen" legt Frida Nilsson mit "Ich, Gorilla und der Affenstern" einen zweiten Text nach, der in seiner Skurrilität und dem enormen Ideenreichtum erneut zu überzeugen weiß. Die Autorin erzählt eine Geschichte, die auf verschiedenen Ebenen den Blick der Leser*innen unter die Oberfläche lenken möchte: Das, was auf den ersten Blick Aufsehen erregt, bildet nur die Hülle, unter welcher der eigentliche Kern zu finden ist. So geht es nicht um die Herz erwärmende Geschichte einer Lassie/Fury/Flipper-Freundschaft zwischen Mensch und Tier, sondern vielmehr um das tiefe Verständnis zweier Wesen füreinander, die sich beide nach einer Nähe sehnen, die Ihnen die Gesellschaft auf Grund ihrer oberflächlichen Beurteilung bewusst vorenthalten hat.
Lukas Bärwald
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