Kröte des Monats Juni 2010
Hinstorff 2010
48 S., € 15,40
Ulrich Plenzdorf/Stefanie Harjes: Gutenachtgeschichte
Ein anthropomorphisiertes Schaf räkelt sich auf einem Papierteller, unter seinen (oder ihren?) hohen violetten Stiefeln blitzen Spitzenstrümpfe hervor. Schon am Cover wird also klar: Eine Gutenachtgeschichte im Sinne von beschaulichem Schäfchen zählen und anschließendem entspannten Einschlafen gibt es hier nicht. „Wisst ihr, was eine Gutenachtgeschichte ist? Ich auch nicht. Wisst ihr, wie eine Gutenachtgeschichte geschrieben wird? Ich auch nicht.“ Die Erzählstimme tritt also von Anfang an in Dialog mit den Leser*innen – und dekonstruiert von Anfang an die Textsorte, die sie vorgibt, schreiben zu wollen. Daraus entspinnt sich eine Fülle an Überlegungen über das Leben (von Kindern und Erwachsenen) und die Literatur: Von der etwas ungehaltenen Erklärung, was ein Pseudonym ist bis hin zur Erkenntnis, dass Kollegen sind schlimmer als Kinder. So vielschichtig und ungewöhnlich wie Ulrich Plenzdorfs Text (erstmals 1983, damals mit Illustrationen von Rolf Köhler, bei Suhrkamp erschienen) sind die Bilder, die Stefanie Harjes dafür findet: Ölkreidegekritzel wird mit elegant gekleideten Insekten, gestempelte Zahlen mit übermalten alten Fotografien kombiniert. Hier wird nicht der Text von Illustrationen begleitet (wie es so oft etwas abwertend heißt), auf manchen Seiten wirkt es eher so, als wäre der Text in die detailreich gestalteten Illustrationen hineingestellt. Der Text geht am Ende des Buches zu seiner Ausgangsfrage nach der Gutenachtgeschichte zurück – die Illustrationen laden ein, noch ein wenig zu sinnieren und sich im Zurückblättern weiter auf die Suche nach ihren möglichen Bedeutungsebenen zu machen.
Kathrin Wexberg
>>> hier geht es zu den Kröten 2010