KAUZ des Monats März 2010
Sauerländer 2010
32 S., € 15,40
"Ein komischer Totenvogel mit romantischer Tendenz" – so charakterisierte Autor Christoph Mauz in der aktuellen Nummer von 1001 Buch den Kauz und schlug vor, die STUBE könnte doch künftig den "Kauz des Monats" verleihen. Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und haben Mauz eingeladen, im Monat März einen Kauz aus der aktuellen Buchproduktion zu vergeben – hier also ausnahmsweise nicht die gewohnte Kröte, sondern ein Kauz des Monats:
Saskia Hula/Ulrike Möltgen: Bei 3 auf den Bäumen
Man stelle sich folgendes vor: Es ist Gemeinderatswahlkampf in Wien. Ein Popanz, nennen wir ihn Heinz Christian, läuft aufs Doppelte aufgeplustert durch den Großstadtdschungel und brüllt: "Liebä Wänarännen, liebä Wäna, äch zählä jätzt bäs drei. Bei drei sänd allä auf dän Bäumän! Und wähe, wänn nicht!" Die angesprochenen Bewohner Wiens reagieren nach der Devise "Nua ka Verdruss net!", und schleppen sich auf sämtliche Alleebäume, derer sie habhaft werden können. Gern machen es die meisten ja nicht, aber wer am lautesten schreit, der hat unter Umständen ja auch ein bisserl recht. Ein paar Renitente denken sich zwar "Gusch, Depperter!", aber auch sie erklimmen mühevoll den einen oder anderen narrischen Kastanienbaum in der Hauptallee. Aus dieser sicheren Position spucken sie heimlich auf den brüllenden Heinz Christian, wenn er vorbeimarschiert. Freilich ohne ihn zu treffen.
Da kommt auf einmal ein ziemlich kleiner Mensch daher, mit kurzen stacheligen Haaren und von entspanntem Wesen. Dieser kleine Mensch sagt: "Is recht!", "Jaja!" oder "Super Stimme!" Sonst schert sich dieses prächtige Menschlein einen Dreck um den brüllenden Popanz. Der wird natürlich wütender und wütender: "Das gilt auch für so Sitzriesän wä däch!", schreit er, und seine Stimme überschlägt sich. Nützt natürlich überhaupt nichts. Das kleine Menschlein bleibt stur, denkt sich "Schmeck’s, Kropferter!", und stapft freundlich lächelnd weiter, als wenn nix wär. Da versagt dem Popanz die Stimme.
Und plötzlich, ganz plötzlich hat der Popanz seinen Schrecken verloren. Gelegentlich kann man ihn noch krächzen hören, aber es schert sich keiner mehr um ihn. Außer vielleicht ein paar Narbengesichtern in bierdampfigen Hinterzimmern …
In Saskia Hulas neuestem Buch, farbenprächtig illustriert von Ulrike Möltgen, spielt der Wiener Gemeinderatswahlkampf natürlich keine Rolle (die Bilder wären dann wohl nicht so schön anzuschauen), aber ich habe selten eine so virtuos erzählte Bilderbuchgeschichte gelesen, die sich augenzwinkernd mit Schreihälsen, Wichtigtuern und falschen Autoritäten auseinandersetzt. Es ist Saskia Hulas ganz besonderes Talent, wichtige Themen in witzige Geschichten zu verpacken, in knapper, kindgerechter Sprache flott und flockig zu erzählen, was Sache ist. Das gelingt ihr wohl deshalb, weil sie zum einen ihr Ohr direkt an der Zielgruppe hat, und zum anderen, weil ihr Radar sehr ausgeprägt ist für kleine und große Ärgernisse, Sehnsüchte und Probleme, die Kind oder Mann oder Frau eben hat.
Im vorliegenden Bilderbuch ist der Popanz kein Wiener Lokalpolitiker, sondern ein Tiger. Es scheint nach der Lektüre erstrebenswert, ein kleines, widerständiges Stachelschwein zu sein, das sich nicht von ihm beeindrucken lässt, sondern stur und freundlich seinen Weg geht. Auch das habe ich in Saskia Hulas Buch gelesen und gesehen, und mich sehr darüber gefreut.
Christoph Mauz
>>> hier geht es zu den Kröten 2010