Thema: Kinder- und Jugendkrimi
Tierische Ermittler*innen
Ulf Nilsson: Kommissar Gordon
Während „Whodunnit?“ im Krimi die zentrale Fragestellung ist, kommt im Fall des Kinderkrimis noch das „What was done?“ dazu, ist es doch nicht ganz einfach, ein ausreichend spannendes Verbrechen zu finden, das stimmig und logisch innerhalb des kinderliterarischen Settings aufgeklärt werden kann. Wer jedoch wie Ulf Nilsson die Fälle seines Kommissar Gordon ganz im Tierreich verortet, dem bieten sich unzählige Möglichkeiten: Im ersten Band ist es das Eichhörnchen, das sich ganz aufgelöst an den tierischen Polizisten (übrigens eine schon etwas ältere Kröte) wendet, weil seine Nüsse gestohlen wurden. Während traditionellerweise eher die Stadt den Schauplatz für Verbrecherjagden aller Art darstellt, ist der Polizeibezirk dieses Ermittlers für das frühe Lesealter gänzlich im Wald angesiedelt: Auf Vor- und Nachsatzpapier bietet eine Karte eine Übersicht über das erzählte Geschehen, mit Schauplätzen wie „3. und 4. Loch des Eichhörnchens“ und „Die große Eiche der richtigen Diebe“. Die kleine Maus, die zunächst des groß angelegten Nüssediebstahls verdächtigt wird, wird vom Kommissar aus lauter Mitleid kurzerhand zur Assistentin ernannt und lernt nach und nach die Grundlagen seiner Ermittlungsarbeit kennen. Das unkonventionelle und sehr sympathische Duo, das erfolgreich bis hin zum letzten Fall ermittelt, wird in Gitte Spees Illustrationen mit hinreißender Mimik in Szene gesetzt.
Aus d. Schwed. v. Ole Könnecke.
Mit Ill. v. Gitte Spee
Moritz 2014.
109 S.
Anna Starobinets: Dachs im Dickicht. Hasenhunger / Das letzte Huhn
Wie auch bei den Kriminalfällen von Kommisar Gorden stellt sich auch in diesem Auftakt einer Kinderkrimirehe aus Russland die Frage, was aufgeklärt werden soll – nicht zu gruslig natürlich, aber dennoch spannend sollen die Fälle sein. Auch Assistent Dachskatz von der Waldpolizei leidet darunter, dass die von ihm zu ermittelnden Gesetzesverstöße oft ein wenig harmlos, wenn nicht sogar etwas langweilig sind: Hier ein geklauter Zedernzapfen, da ein Haufen Kot auf eine Lichtung oder eine herausgezupfte Schwanzfeder… Da passt es für ihn ganz gut, dass per Froschfunk die Ermordung des Hasen mitgeteilt wird. Naheliegender Verdächtiger ist der Wolf – aber ist da vielleicht im Dicken Dickicht doch etwas Anderes faul? Was mit einem vermeintlich toten Hasen im ersten Band beginnt, erweitert sich um einen rätselhaften Fall um das „letzte Huhn“ im zweiten Band, der von den tierischen Ermittler*innen in ihrem natürlichen Habitat, dem Wald, gelöst werden muss. Tierspezifische Verhaltensmuster – der Dachs hält naturgemäß Winterschlaft und kann daher nicht immer ermitteln – bereichern die humorig erzählten Kinderkrimis samt launigen Illustrationen auf hervorragende Weise.
Mit Ill. v. Stefanie Jeschke.
Aus d. Russ. v. Christiane Pöhlmann.
KJB 2021.
144 / 144 S.
Ab 9 Jahren.
Franziska Biermann: Jacky Marrone
Der Fuchs Jacky Marrone ist frisch gebackener Privatdetektiv. In Alices Fachgeschäft für Detektei hat er sich den kriminalistischen Koffer Super Special Agent 360 xip der Firma „Sherlock“ aus Großbritannien besorgt. Man muss ja als angehender Meisterdetektiv bestens ausgestattet sein und damit fühlt er sich für alle Eventualitäten gerüstet. Sein erster Fall mutet anfangs allerdings nicht gerade herausfordernd an: Er soll der „Witwe Polte“ ein gestohlenes Huhn zurückbringen. Da die alte Frau mit reichlich Bargeld bezahlt, nimmt Jacky den Fall dennoch an – und befindet sich bald unverhofft auf wilder Verbrecher*innenjagd. Der erste kurzweilige Fall des von Natur aus schlauen Fuchsdetektivs besticht durch den für Franziska Biermann typischen schräg-verrückten Stil mit viel Wort- und Bildwitz, der sich auch in dem skurril-wirkenden Aufklärungsutensilien wie dem Sprühseil oder den Schrumpftropfen zeigt. Die bewegungsreichen, fast comicartigen Bilder voll lustiger Details und Gadgets überzeugen ebenso wie der inhaltliche und sprachliche Einfallsreichtum der Autorin. Und weil mit einem Fall dem Lesegenuss noch nicht genüge getan wurde, ermittelt Jacky Marrone in zwei weiteren Fällen.
dtv 2018.
116 S.
Ab 7 Jahren.
Heinz Janisch: Jaromir
Mit Lord Huber hat Heinz Janisch eine Ermittlerfigur geschaffen, die sich keineswegs hinter großen Meisterdetektiv*innen wie Sherlock Holmes oder James Bond verstecken muss. Beobachtungstalent, flinke graue Zellen und entsprechendes Equipment (so ist sein Gehstock gleichzeitig auch Telefon und Fotoapparat) helfen dem britisch angehauchten Lord Huber bei der Auflösung seiner Fälle, die ihn nach Wien, Rom oder Bad Grünberg führen. Doch ganz gemäß den großen Vorbildern wäre auch Lord Huber nichts ohne seinen „Watson". Dass dieser – Herr Jaromir – nicht nur sehr klug, eloquent und fremdsprachenbegabt ist, sondern obendrein ein Dackel, trägt sehr zum Amüsement durch den charmanten Text bei. Charmant ist dabei nicht nur das Figurenrepertoire, sondern ebenso die unterschiedlichen Schauplätze der einzelnen Fälle, die nicht nur benannt, sondern mit viel Zeit- und Lokalkolorit angereichert werden. Ohne Scheu vor der Komplexität dieses Genres adaptiert Heinz Janisch typische Motive wie das „whodunit" und den „red herring" bravourös für die jüngsten Krimieinsteiger*innen und paart diese mit witzigen Dialogen und Situationskomik, wenn den Verbrechen auf die Spur gekommen wird.
Obelisk seit 2018.
Mit Ill. v. Antje Drescher.
Ab 8 Jahren.

Jean-Claude Mourlevat: Jefferson
In einer Welt, in der Tiere so zivilisiert sind wie ihre Nachbarn, die Menschen, führt der junge unschuldige Igel Jefferson Walden von Waldeck ein gediegenes Leben – bis er eines Tages die Leiche seines Friseurs Herr Edgar findet. In völliger Schockstarre zieht er die Tatwaffe aus der Brust des Dachses, was dazu führt, dass er von einer Zeugin fälschlicherweise des Mordes bezichtigt wird. Gemeinsam mit seinem Freund Gilbert, dem Schwein, folgt er den Spuren der wahren Mörder hinein ins Land der Menschen und wird unvermutet mit zahlreichen Vorurteilen konfrontiert. Was auf den ersten Blick wie ein üblicher Kinderkrimi erscheint, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als sehr viel mehr; denn neben den freundlichen, tierischen Protagonist*innen, einer spannenden Krimi-Handlung und wunderschönen, detaillierten Bleistiftillustrationen versteckt sich eine gesellschafts- und konsumkritischen Message, durch die im Rahmen der Ermittlungen der menschliche Umgang mit Tieren kritisch hinterfragt und die Zustände bei industrieller Zucht, Massentierhaltung und Schlachtung thematisiert werden. Eine spannende Krimilektüre also, die nebenbei zum Nachdenken und Reflektieren anregt. Ill. v. Antoine Ronzon.
Aus d. Französ. v. Edmund Jacoby.
Jacoby&Stuart 2020.
220 S.
Ab 8 Jahren.
Oyvind Torseter: Ein Mann für alle Fälle
Ein Buch für alle Fälle: Doppelgängermotiv, MacGuffin, Hardboiled, Film Noir, Detektivgeschichte, Comic: Dieses Buch ist ein Hybrid vieler Motive, Gattungen sowie Medien und erinnert in seiner Erzählweise an Wes Andersons beste Kino-Klassiker. Die schrullige Vielfalt drängt den Inhalt beinahe in den Hintergrund, auch wenn die Verfolgungsjagd eines „Evil Twins“ durch verwegene Plot-Twists immer wieder für Spannung und Humor sorgt. Im Zentrum des Geschehens steht dabei ein namenloser Protagonist, der schon bevor in einen Kriminalfall verwickelt war, ein Mann für alle Fälle war. Bestechend wie witzig ist dabei die pointierte Figurengestaltung, die Menschen und Tiere in einer Welt zusammenführt und dieser skurrilen Konstellation durch das Gespür für reduzierte Farb- und Raumgestaltung sowie die kluge Comicstruktur eine spezifische Dynamik verleiht. Das Ende bleibt offen; man steigt aus dieser aberwitzigen Story ebenso unvermittelt aus, wie man sie betreten hat. Und so gesellt sich auch die Form der Kurzgeschichte zu diesem einzigartigen Genre-Mix für alle Fälle.Aus dem Norweg. von Maike Dörries.
Gerstenberg 2020.
o. S.
Ab 10 Jahren.
Starke Ermittlerinnen

Nancy Springer: Enola Holmes
Das Leben als Mädchen im Jahr 1888 ist insbesondere dann nicht leicht, wenn man von einer Verfechterin des Frauenwahlrechts erzogen wird und diese spurlos verschwindet – wie die Mutter der bücherliebenden und kombinierfähigen Enola Holmes. Mädchen haben mit Puppen zu spielen, heißt es im ersten Band der Erfolgsreihe von Nancy Springer. Dass das auch im 19. Jahrhundert nicht stimmen muss, zeigt die Protagonistin in bislang acht erschienenen Bänden, in denen sie kleine Lords vor bösen Schicksalen ebenso bewahrt wie junge Damen vor Gefängnissen und Zwangsehen. Spannungsgeladen wird so von einer Detektivin in einem vergangenen London erzählt, die ihrem großen Bruder Sherlock Holmes in nichts nachsteht. Gattungstypische Aspekte wie die Fragen nach dem Wer? Wann? Warum? gepaart mit genial gezeichneten Charakteren und der schrittweisen Emanzipation der Protagonistin, die sich hervorragend aufs Dechiffrieren versteht, ergeben eine stimmige Reihe, in der Lesende eingeladen werden, mit Enola Fälle zu lösen, während bändeübergreifend dem Verbleiben ihrer Mutter auf die Spur gekommen wird. Ergänzend empfohlen: Die charmante Filmadaption von Enolas erstem Fall auf Netflix mit Millie Bobby Brown in der Hauptrolle.
Aus d. Amerikan. v. Nadine Mannchen.
Knesebeck seit 2019.
Ab 12 Jahren.
Sophie Cleverly: Violet and Bones. Der lebende Tote von Seven Gates
Im viktorianischen England hat als Tochter eines Bestatters auch Violet nicht viel zu sagen, die nichts mehr verabscheut, als an ihr Stickzeug gebunden zu sein. Als im gelungen Reihenauftakt von Sophie Cleverly aber plötzlich jener Junge, den ihr Vater für die Beerdigung vorbereiten sollte, quicklebendig über den angrenzenden Friedhof streunt, bleibt Violet nichts anderes übrig als auf eigene Faust zu ermitteln – umso mehr als sich die Ereignisse häufen und ihr Vater wegen vierfachen Mordes angeklagt wird. Unterstützung bekommt sie durch den lebenden Toten Oliver sowie von Hund Bones, der in Kommissar-Rex-Manier die Ermittlungen bereichert. Eine Verdächtige wird schnell gefunden und dem seltsamen Ermittlungstrio gelingt eine spannende Überführung quer durch die gesellschaftlichen Schichten und Stadtteile Londons. Der Schauplatz rund um den Friedhof samt Bestattungsunternehmen verleiht diesem ersten Fall von Violet und Bones seinen ganz besonderen Charme, wenn der sarkastische Ton der Protagonistin den mitunter etwas makaber wirkenden Grundton auflockert. So etwa als sie am Ende ein Resümee zieht: Violet: Detektivin. […] Nein: Privatdetektivin.
Aus d. Engl. v. Birgit Erdmann.
mixtvision seit 2021.
280 S.
ab 11 Jahren.

Elisabeth Herrmann: Ravna. Tod in der Arkits / Die Tote in den Nebelbergen
Ravna fällt aus dem Rahmen. Nicht nur, weil es sich bei der jungen Samin um eine weibliche, jugendliche Ermittlerin handelt; sondern auch weil Ravna ihre Zugehörigkeit biografiebedingt ständig infrage gestellt sieht. Sie vertritt die (behördliche) Norm der Mehrheitsgesellschaft und gehört doch einer kulturellen Minderheit an. Denn während sie ein Praktikum in der Polizeistation Vardø macht, stößt sie in der längsten Nacht des Jahres auf eine Leiche. Ein halbes Jahr später, zu Mittsommer wird Ravna bereits Schülerin der Polizeihochschule in Oslo sein. Sie wird aber gemeinsam mit ihrer Mutter an der Kälbermarkierung der Rentierdrifter teilnehmen und in einer Bärenhöhle erneut einen Leichnam finden. In beiden Bänden ihrer neuen Krimireihe für Jugendliche kombiniert die Erfolgsautorin die schroffe, faszinierende Topografie der Halbinsel am nordnorwegischen Varangerfjord mit einem adoleszenten Leben zwischen zwei Welten: Ravna ist eng mit der traditionellen samischen Lebenswelt verbunden und versucht doch, ihrem Interesse an Polizeiarbeit und Kriminologie nachzugehen. Dafür, dass dieses ganz individuelle Dazwischen-Sein auch eine mythische Aufladung erhält, sorgen einerseits der gespenstisch wirkende Ermittler Rune Thor, der Ravna an den Gand, die Inkarnation des Unheimlichen erinnert; und andererseits Frauen aus Ravnas Volk, für die eine Spiritualität des Schamanismus noch nicht in Vergessenheit geraten ist. Handfeste Ermittler*innenarbeit wird dieserart mit kultureller Fremdheit und Zugehörigkeit verknüpft; sodass spannende Krimiplots gleichermaßen entstehen, wie Schilderungen weiblicher Identität unter den Vorzeichen eines Lebens am wahrhaften Ende der Welt.
cbj 2021 / 2022.
464 /
464 S.
Kindliche Detektivarbeit

Lena Hach: Mission Hollercamp
Sonderbare Dinge geschehen im Hollercamp: Ein geheimnisvoller Fremder streift um den See, an dem abgelegte Kleidung verschwindet und Gelsenmittel zu Juckpulver wird … Ihre neue Krimiserie für junge Leser*innen verortet Lena Hach auf einem Campingplatz an einem deutschen Badesee, an dem die Familien der drei Protagonist*innen in jährlichen Abständen urlauben und aus denen sich die Häufigkeit der Fälle ergibt. Es sind keine großen Verbrechen, denen die jungen Detektiv*innen Leon, Jakub und Emily nachgehen, an Unterhaltung und Spannung fehlt es der launigen Erzählung aber dennoch keinesfalls. Das liegt u. a. an der besonderen Form von Leons Bericht, der in handschriftlichen Notizen von Emily (oft augenzwinkernd) kommentiert und korrigiert wird. Der dadurch entstehende Dialog fesselt ebenso wie das liebenswerte, diverse Figurenarsenal, das Leser*innen Lust auf mehr macht. Die stets anwachsende Reihe rund um die kindlichen Detektiv*innen besticht durch den anhaltenden Wortwitz ebenso wie durch die abwechslungsreichen, spannenden Fälle, mit denen sich das Trio konfrontiert sieht.Mit Ill. v. Lisa Hänsch.
mixtvision seit 2020.
Ab 10 Jahren.
Perti Kivinen: Die Blaubeerdetektive. Gefahr für den Inselwald!
Der kindliche Erzähler Samu, sein Hund Riku, seine älteren Zwillingsschwestern Alma und Selma und ihr superschlauer Freund Olli sind die Blaubeerdetektive. Ihr Bandenname leitet sich von der Blaubeerinsel ab, auf der sie ihr Hauptquartier unterhalten. Auch aus einem weiteren Grund rückt die Insel ins Zentrum der Handlung: Der griesgrämige Sägewerksbesitzer Mäkelä, dem die Insel gehört, will dort einen uralten Eichenwald umsägen und lukrative Ferienwohnungen errichten. Um eine Abholzungsgenehmigung für das naturgeschützte Gelände zu erhalten, bestellt er beim Entomologischen Forschungszentrum Borkenkäfer. Diese möchte Mäkelä vor Ort auszusetzen. Gottlob kommt ihm die junge Detektivbande rechtzeitig auf die Schliche und kann seine Pläne vereiteln. Der skandinavische Ökokrimi spielt in Kaninkorva, dem finnischen Geburtsort des Autors. Mit einer Reihe liebenswerter Figuren wie dem Tankstellenbesitzer und Wirt Virtanen (dessen Gerichte nach Motoröl schmecken), dem gutmütigen Polizeiobermeister Parkkinen und der gemütlichen Kioskbesitzerin Huovi lässt Perti Kivinen ein nordisches Kleinstadtidyll entstehen. Die farbenfrohe Umschlaggestaltung der Astrid-Lindgren-Illustratorin Katrin Engelkin unterstützt diesen Eindruck. Ein vergnügliches Leseabenteuer. Aus d. Finnischen v. Anu Stohner.
Hanser 2019.
156 S.
Kirsten Boie: Der Junge, der Gedanken lesen konnte
Bereits der Titel deutet die Vielschichtigkeit dieses Romans an: Im multikulturellen urbanen Milieu angesiedelt, verbindet er Krimielemente mit phantastischen Einschreibungen und einer Familiengeschichte. An einem glutheiß gleißenden Sommertag sucht Valentin auf dem Friedhof Abkühlung und begegnet prompt skurrilen Figuren: Den Schilinskys, die ihren Schrebergarten inmitten der Gräber aufgezogen haben; eine Obdachlose, die Dicke Frau genannt wird; und den Friedhofsgärtner Bronislaw, einen ausgesucht herzlichen Menschen. Zunehmend aber laufen just an diesem Ort auch unterschiedliche Kriminalfälle zusammen und wecken Valentins detektivisches Gespür. Anstelle ihm aber technisches CSI-Equipment für effektive Ermittlungsarbeit zur Verfügung zu stellen, erlaubt Kirsten Boie ihrem Protagonisten in heiter-ironischem Stil eine ganz andere Spürnasen-Grundausstattung: Valentin erkennt, dass er Gedanken lesen kann. Gemeinsam mit Mesut, seinem neuen Freund, kommt er den Verbrecher*innen zunehmend auf die Spur. Er gerät dabei nicht nur in lebensbedrohliche Situationen, sondern weiß auch die seelischen Befindlichkeiten seiner neuen Freund*innen ins Lot zu bringen. Regina Kehn begleitet die Handlung nicht nur in zahlreichen ganzseitigen Illustrationen, sondern gibt auch Einblicke, was in Valentins Kopf so vor sich geht …
Bilder v. Regina Kehn.
Oetinger 2012.
318 S.
Jutta Wilke: Das Karlgeheimnis
Lotto-Werner, Frau Wischnewski und ihr übergewichtiger Dackel, eine Gruppe Müllmänner mit großem Kaffeedurst – in Karls Büdchen treffen sich täglich allerhand spannende und liebenswerte Gestalten. Und mittendrin: Emil, der gerade an seinem ersten Krimi schreibt, um mit dem Erlös seiner Mutter die Geldsorgen zu nehmen. Denn seit Papa weg ist, werden deren Schichten im Supermarkt immer länger und die dunklen Augenringe zunehmend größer. Als hätte Emil damit nicht schon genug Probleme, konfisziert die fiese Klassenlehrerin Bertram auch noch sein Krimi-Manuskript und Karl verschwindet. Zum Glück ist da aber die neu gewonnenen Freundin Finja, die eine richtig, echte Detektiv ist. Mit ihrer Hilfe und ihrem Hund Watson macht sich Emil daran, all diese Angelegenheiten in Angriff zu nehmen; was einiges an detektivischem Gespür fordert und zu etlichen unerwarteten Turbulenzen führt. Eine kurzweilig erzählte Geschichte mit liebenswerten Figuren, viel Witz und Feingefühl, die durch die grafisch vom Fließtext abgesetzten Passagen aus Emils Krimi-Manuskript eine zusätzliche Dimension erhält.
Mit Ill. v. Ulf K
Coppenrath 2021.
300 S.
Ab 10 Jahren.

Cornelia Funke: Herr der Diebe
Detektivstory trifft auf venezianisches Märchen: Sechs Kinder – darunter der 12-jährige Prosper und der 5-jährige Bo –, die alle kein richtiges Elternhaus mehr haben, versuchen sich im spätherbstlichen Venedig durchzuschlagen. Über sie hält Scipio, der „Herr der Diebe“, seine vermeintlich schützende Hand. Er selbst, kaum älter als die sechsköpfige Kinderbande, die in einem verlassenen Kino Unterschlupf findet, lässt seine Herkunft im Schatten, versorgt seine Schützlinge aber mit Diebesgut, womit sie sich über Wasser halten können. Venedig mit seinen verwinkelten Gassen bietet den perfekten Schauplatz für das Versteckspiel zwischen den Kindern und dem schrulligen Detektiv Viktor Getz, der von Prospers und Bos Tante beauftragt wurde, Bo zu finden und Prosper ins Waisenhaus zu verfrachten. Auf der abenteuerlichen Suche nach einem seltsamen Holzflügel, der den Kindern finanziell aus der Klemme helfen soll und der zu einem sagenumwobenen Karussell gehört, verschmelzen Realität und Phantastik miteinander. Durchsetzt ist der Text immer wieder von italienischen Vokabeln, die im angehängten Glossar erklärt werden, und mit Hilfe derer der Charme der Lagunenstadt noch untermalt wird.
Ill. v. Maximilian Meinzold.
Dressler 2018.
388 S.
Ab 10 Jahren.
Lena Schützsack: Tilda, ich und der geklaute Dracula
Dracula ist ein Hund mit Überbiss und verschwunden. Zumindest, wenn man den Zetteln glaubt, die überall im Berliner Kiez hängen, in dem Tilda und Oda leben. Und weil die beiden Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch perfekt zueinander passen, ohnehin große Lust auf detektivische Unternehmungen haben, legen sie mit ihren investigativen Aktionen los. Mögliche Gründe für einen Hunderaub, die ihnen einfallen: Gebell. Gestank. Geld. Vielleicht ist es aber doch einfach die Freude am Verbrechen? Schon bald erhalten sie Drohbriefe, die ihnen nahelegen, den Fall ruhen zu lassen … Doch die beiden spitzfindigen Mädchen lassen sich nicht unterkriegen – und werden am Ende doch ganz schön überrascht. Lara Schützsack hat einen modernen Kinderkrimi geschrieben, der die beiden kindlichen Figuren einmal quer durch Berlin führt und der neben einer plausiblen Krimi-Handlung mit Witz auch noch Platz für die Charakterisierung zweier starker Mädchenfiguren findet und ihre Freundschaft und ihr Familienleben im zeitgenössischen Kontext lesenswert auserzählt.
Sauerländer 2019.
253 S.
Spannung für Jugendliche


Karen McManus: One of us is lying
Die Ausgangssituation erinnert an John Hughes Film aus dem Jahr 1985. Dieser „Breakfast Club“ jedoch wird rasch zu einem Mörder*innen-Club – denn einer der fünf Schüler*innen überlebt das Nachsitzen nicht. Bedingt durch die hermetische Konstruktion muss der Täter/die Täterin also unter den verbleibenden vier zu finden sein. Oder? Spannungsreich folgt der Jugendroman einem dramaturgisch raffinierten Konzept: Erzählt wird aus vier Ich-Perspektiven. Warum sollte man dem jeweiligen Ich keinen Glauben schenken, wenn es aus der Position der Schuldlosigkeit heraus danach fragt, was wirklich mit Simon passiert ist? Bronwyn, Addy, Cooper und Nate kämpfen mit ihrer Vorverurteilung gleichermaßen wie mit jenen Hot-News, die auf tumblr über sie veröffentlicht werden. Wer könnte hinter den Postings stecken, wenn nicht Simon, der all diese brisanten Wahrheiten auf seiner Gossip-App veröffentlichen wollte? Immer eindringlicher beschwört der Mörder*innen-Club seine Unschuld, während die mediale Hetze die Situation radikalisiert. Und immer zügiger treibt der Roman die Frage danach voran, ob nicht genau das geplant war. Aber von wem? Die vermeintlichen Täter*innen beginnen, die Puzzlestücke zusammenzusetzen – und lernen dabei auch einander (neu) kennen.
Aus d. Amerikan. v. Anja Galić.
cbt 2019.
489 S.
Karen McManus: One of us is next
Schwestern. Knox hat gleich vier davon – alle deutlich älter als der 17-Jährige. Phoebes und ihre Schwester Emma hingegen haben sich seit dem Tod des Vaters frappant auseinandergelebt. Und Maeve kennt man bereits – als jüngere Schwester von Bronwyn, eine der berühmten Bayview Four. Mit Maeve klinkt Karen McManus sich in die Figurenkonstellation und Ereignisse von „One of us is lying“ ein und etabliert im selben Umfeld ein ganz neues, selbständig zu lesendes Spannungsszenario. Wieder motiviert Rache die in Gang gesetzten Ereignisse und macht die sozialen Medien zu Tatwaffen, wenn die Schüler*innen der Bayview High mit Hilfe ihres eigenen Voyeurismus manipuliert werden. Wahrheit oder Pflicht wird als sensationslüsternes Online Ereignis inszeniert und zielt (erneut) darauf ab, dunkle Geheimnisse offen zu legen, die zu sozialer Stigmatisierung, vor allem aber zu beziehungsdynamischen SuperGAUs führen. Im topografischen Mittelpunkt der Ereignisse steht das Café Santos: Hier, am Umschlagplatz der Geheimnisse, treffen die drei neuen Ich-Erzähler*innen Maeve, Phoebe und Knox nicht nur auf die ehemaligen (Addy, Bronwyn, Nate und Cooper), sondern zeigen erneut, wie aus den Opfern jene werden, die dem/der (potentielle/n) Täter/in mit Cleverness und Recherchelust auf die Schliche kommen.
Aus d. Amerikan. v. Anja Galić.
cbt 2020.
442 S.
Angeline Boulley: Fire Keeper's Daughter
Die Story lässt ihren Krimicharakter nicht auf den ersten Blick erkennen. Vielmehr scheint es sich vorerst um eine Liebesgeschichte zu handeln, die jedoch zweifach ungewöhnlich verortet ist: Einerseits unter jugendlichen Eishockey-Spieler*innen; andererseits – und das hat viel weitreichender Bedeutung – in der Community der Ojibwe, Native American, die im Gebiet der Großen Seen an der Grenze zu Kanada angesiedelt sind. Durch erschütternde Ereignisse jedoch muss Ich-Erzählerin Daunis erkennen, dass Jamie, der neue im Team, nicht ohne Hintergedanken Interesse an einer Beziehung mit ihr gezeigt hat: Jamie ist verdeckter Ermittler beim FBI und wirbt Daunis als Informantin an. Vorgeblicher Grund dafür sind ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse und ihr Interesse für das heilkundliche Wissen der Ojibwe. Soweit die Ausgangssituation für einen Krimiplot rund um Mord und Methproduktion; der aber – und darin liegt die Stärke des Romans – sowohl mit Daunis‘ komplexer Familiengeschichte, als auch mit der Frage nach ihrer kulturellen Identität verknüpft wird. Spannungsplot, Liebesgeschichte und Identitätsfindungsprozess erlangen abwechselnd Wichtigkeit und werfen einen ungeschönten Blick auf jenes Frauenbild, mit dem Daunis (mit erschütternd schmerzlichen Konsequenzen) als Tochter eines indigenen, früh verstorbenen Vaters und einer weißen Mutter aus wohlsituiertem Haus konfrontiert ist.
Aus d. Amerikan. v. Claudia Max.
cbj 2022.
460 S.
Ab 14 Jahren.
Jonathan Stroud: Scarlett & Browne. Die Outlaws
Im England einer dystopischen Zukunft steht der Überlebenskampf für Scarlett, gefürchtete und viel gesuchte Bankräuberin auf der Tagesordnung, aber anders kann sich die junge selbst bewusste Frau nicht über Wasser halten. In dieser Zukunft wird sie nicht nur von sogenannten Ordnungshüter*innen gejagt, sondern in den Wäldern lauern auch wilde, teils mutierte Tiere. Und inmitten dieser trifft sie auf Albert, der nicht nur unendlich tollpatschig und allein nicht überlebensfähig scheint, sondern wegen seiner besonderen Fähigkeiten auch von den Agenten der Glaubenshäuser gesucht wird. Kurzerhand tun sich die beiden zusammen und machen sich auf zur Londoner Lagune. Im Auftakt der neuen Reihe des Erfolgsautors vermengen sich verschiedene Genreelemente von Krimi, Thriller, Western und Dystopie zu einer gelungenen Kombination über ein amüsantes Duo, das selbst auf der Flucht ist und zugleich versucht Mysterien auf die Spur zu kommen. Die nötige Portion Spannung wird ebenso mitgeliefert wir die Frage nach Loyalität und der Abwägung, wer denn nun gut und wer böse ist.
Aus d. Engl. V. Katharina Orgaß und Gerlad Jung.
cbj 2021.
448 S.
Ab 14 Jahren.
Mats Wahl: Der Unsichtbare
Ich töte, wen ich will. Sowohl Kommissar Harald Fors als auch den Lesenden bleibt die Luft weg, wenn im finalen Verhör aufgezeigt wird, dass jenen, die keine moralischen Grenzen kennen, nicht beizukommen ist. Mats Wahl kombiniert einen Krimiplot dieserart mit einem gesellschaftspolitisch genauen Blick auf jugendlichen Rechtradikalismus im Schweden der frühen 2000er-Jahre – und wählt dabei eine bestechende Perspektive: Erzählt wird vom Opfer selbst. Denn Hilmar Eriksson bemerkt eines Morgens, dass die Anderen ihn plötzlich nicht mehr sehen. Was ist passiert? Zwei Tage lang begleitet der Jugendliche als Unsichtbarer den ermittelnden Kommissar – und muss die Ereignisse seinerseits mühsam rekonstruieren, während Harald Fors Indizien zusammenträgt und Befragungen durchführt. Dieserart führt Mats Wahl die Tradition seiner ungeschönt, direkt und durchaus auch mit Witz erzählten Jugendromane mit einer Nordic Noir-Krimitradition zusammen, wie man sie z. B. von Henning Mankells Wallander kennt. Hilmar kann am Ende sein untotes Dasein beenden. Die Tat selbst lässt Mats Wahl nicht los – die wird unter neuen Vorzeichen nochmal Thema in einem weiteren Band rund um Kommissar Fors, der es insgesamt viermal mit schweren Straftaten zu tun hat, in die Jugendliche involviert sind.
(Titel der weiteren Bände: Kaltes schweigen / Kill / Kalte Wut)
Aus d. Schwed. v. Angelika Kutsch.
dtv 2004.
208 S.
Ab 13 Jahren.
Dirk Reinhardt: Perfekt Storm
In der virtuellen Welt sind sie die „Langlorian Freedom Fighters“, eine Gruppe genialer Online-Spieler, die sich offline nie kennengelernt hätten: Arrow aus Kolumbien, MostWanted aus San Francisco, Shirahoshi aus Japan, SilverSurfer aus Australien, Gödel aus Deutschland und Black Lumumba aus dem Kongo. Die militanten Rebellen dort ermorden Blacks Vater und Schwester und zwingen ihn zur Flucht – gefördert durch illegale Waffenexporte westlicher Konzerne, die so billiger an Rohstoffe kommen wollen. Die Gruppe beschließt daraufhin, das menschenverachtende System aufzudecken und publik zu machen. Mit Fake-Websites, Computerviren und Undercoverbesuchen arbeiten sich die Jugendlichen immer höher in die amerikanische Rüstungsindustrie hinauf und entdecken ein weites Feld aus Gier und Korruption. Dabei kämpfen sie nicht nur gegen virtuelle Abwehrsysteme, sondern auch gegen die Zeit – denn bald ist ihnen die NSA auf der Spur.
In Zeitsprüngen werden Chatprotokolle wiedergegeben, dazwischen stehen Verhöraufzeichnungen und Erzählpassagen aus der Gegenwart. Trotz der von Beginn an feststehenden Gefangennahme der Freedom Fighters hält der beklemmend realistisch wirkende Roman die Spannung bis zuletzt aufrecht. Ist die Welt noch zu retten?
Gerstenberg 2021.
414 S.
Ab 14 Jahren.

Jenny Valentine: Das zweite Leben des Cassiel Roadnight
Der Thrill der Frage nach der eigenen Identität wird zum Spannungsmoment: Die amerikanische Autorin entspinnt einen ungewöhnlichen Plot – und nimmt dabei Anleihen an der Verbrechensliteratur gleichermaßen wie am Krimi. Als Stein des Anstoßes dient ein Fahndungsfoto. Der obdachlose 14-jährige Chap entdeckt es in einer Notunterkunft und ist verblüfft von der Ähnlichkeit zwischen ihm und dem als vermisst geltenden Cassiel Roadnight: Ich wollte immer schon ein anderer sein. Will das nicht jeder? Chap ergreift die Chance und kehrt als Cassiel Roadnight in dessen Familie zurück – verblüfft darüber, dass niemand die charakterlichen Abweichungen zu bemerken scheint. Wortkargheit und Maskerade ermöglichen eine scheinbar reibungslose Rückkehr des verlorenen Sohnes. Chaps eigene Gewissenskonflikte jedoch kollidieren rasch mit dem geheimnisvollen Verhalten seines „Bruders“: Er scheint um das falsche Spiel zu wissen und schweigt dennoch. Warum? Hatte er etwas mit dem Verschwinden von Cassiel zu tun? So wie nach und nach Chaps eigene Familiengeschichte ans Licht geholt wird, werden auch die dunklen Geheinisse des Bruders nach und nach gelüftet und sorgen für beträchtliche Plotspannung.
Aus d. Engl. v. Klaus Fritz.
dtv 2011.
247 S.
Ab 14 Jahren.
Sif Sigmarsdóttir: Das dunkle Flüstern der Schneeflocken
Ein Islandkrimi für Jugendliche – präsentiert in jener genrespezifischen Aufmachung, auf die im ersten Kapitel angespielt wird. Von einem „typisch düsteren Skandinavien-Thriller“ ist dort die Rede. Der Originaltitel „The Sharpe Edge of a Snowflake“ passt da viel besser zu den beiden Protagonistinnen, aus deren Sicht abwechselnd – und zeitverschoben – erzählt wird: Hannahs Perspektive setzt rund um die Verhaftung von Imogen Collins ein, die beschuldigt wird, Mörður Pórðarson, einen Professor der Psychologie und Spezialisten der Psychometrie ermordet zu haben. Imogens Perspektive erzählt parallel dazu die Vorgeschichte des Mordes. Der Fall rund um die beiden „snowflakes“ (begrifflich verwendet im Sinne empfindlicher, leicht zu beleidigender Personen) folgt dem klassischen Krimimuster (How? Why?) und reicht in eine digitale Medienwelt hinein, in der Marketingstrategien Persönlichkeitsrechte zugunsten von Gier schlicht außer Kraft setzen. Letztlich aber dienen die aufzudeckenden Wahrheiten als Handlungsgerüst, in das die beiden Frauenbiografien eingeschrieben sind. Mit adoleszentem Pathos blicken die Ich-Erzählerinnen dabei auf ihre jeweiligen Entwicklungsprozesse – und machen deutlich: Schneeflocken bestehen aus Kristallen mit harten, messerscharfen Kanten.
Aus d. Engl. v. Ulrich Thiele
Loewe 2021.
432 S.