The Night Ends With Fire

Aus d. Amerikan. v. Katja Hald
Fischer Sauerländer 2025.
528 S.

K.X. Song: The Night Ends With Fire

„Ich musste zeigen, dass ich als Frau nicht weniger konnte als die anderen. Dass auch ich dazugehören durfte. Dass auch mir die Freiheit zustand.“

Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Meilins Leben alles andere als behütet verläuft. Sie wächst in Armut auf, geprägt von einem tyrannischen, alkoholsüchtigen Vater, der das wenige Geld durch Glücksspiel und Abhängigkeiten verschleudert und die Familie in den Ruin treibt. Bereits als Kind lernt Meilin, ihre wahren Gedanken und die aufkeimende Wut in sich zu verbergen, denn als Mädchen bleibt ihr kaum Raum, sich jemals zu widersetzen. Doch sie war nie bloß ein kleines, zerbrechliches Kind, das sich brav in sein Schicksal fügt, sondern von Anfang an mutig, kraftvoll und entschlossen, eines Tages ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Als ihr Vater sie an einen reichen, aber ebenso brutalen Mann verspricht, scheint alles besiegelt, bis Meilin begreift, dass sie handeln muss. Anstatt sich widerstandslos zu fügen, entscheidet sie sich zu fliehen und wagt den gefährlichen Schritt, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen.

Ihre Chance kommt mit dem Krieg, der die Drei Königreiche heimsucht. Während Männer an die Front geschickt werden, gelingt es Meilin, sich zu verkleiden und unter dem Namen eines Jungen in die Armee einzutreten. Ihr Beweggrund ist dabei kein Opfermut für ihre Familie, sondern ihr eigener Freiheitswille. Dieser Unterschied ist zentral, denn er macht sie zu einer Protagonistin, die sich deutlich von klassischen Heldinnenfiguren absetzt. Anders als in Disneys Mulan ist Meilin kein leuchtendes Vorbild selbstloser Aufopferung, sondern eine Figur, deren Ehrgeiz, Wut und Selbstbehauptung im Zentrum stehen. Es geht hier nicht um Reinheit oder Märtyrertum, sondern um den harten Kampf einer Frau, die ihr Leben selbst formen will, auch wenn der Preis dafür hoch ist.

Im Vergleich zu den anderen Soldaten ist Meilin zunächst kleiner und schwächer und fällt kaum auf. Doch sie nutzt jede Nacht, um im Geheimen zu trainieren. Schnell entwickelt sie eine Haltung, die ihrem Umfeld nicht verborgen bleibt, und erregt die Aufmerksamkeit von Prinz Liu Sky, einem der obersten Anführer der Armee. Sky erkennt ihr Feuer und nimmt sie schließlich unter seine Obhut. Doch Meilin trägt weit mehr mit sich als nur die verborgene Wahrheit über ihr Geschlecht. Immer stärker hört sie Stimmen, die aus ihrem Inneren drängen, und ihre Verbindung zu Qinglong, dem Drachengeist, wächst mit jedem Tag. Dieser mächtige Geist verspricht ihr ungeheure Kraft, entfacht jedoch gleichzeitig eine dunkle Seite in ihr, die von Gier lebt und deren Preis tödlich sein könnte.

Von dort an steigert sich das Tempo der Erzählung unaufhaltsam: Kämpfe, Verrat, politische Ränkespiele und finstere Magie stürzen Meilin in einen Strudel, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Gerade die moralische Ambivalenz der Figuren macht dabei den Reiz aus. Keine Figur in diesem Roman lässt sich eindeutig als Held oder Schurke begreifen, alle bewegen sich in einem schmerzvollen Grau, und jede Entscheidung fordert Opfer. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Hauptfigur selbst. Meilin ist keine makellose Heldin, die immer den richtigen Weg kennt. Sie verliert Kämpfe, macht Fehler, wird von ihren eigenen Gefühlen überwältigt und ist oft ebenso brutal, wie sie Opfer von Brutalität wird. Doch gerade diese Unvollkommenheit macht sie zu einer greifbaren, faszinierenden Figur.

„Einer Frau ließe man so etwas niemals durchgehen.“
„Was meinst du damit?“
„Dass eine Frau Macht behält – das würde man nie zulassen.“

Dieses Zitat verdichtet den Kern des Romans. Frauen gelten in dieser Welt als Yin, als schwach, wankelmütig, den Launen ihrer Gefühle ausgeliefert. Männer hingegen repräsentieren Yang, Stärke, Logik und Standhaftigkeit. Frauen können nicht führen, nicht herrschen, nicht kämpfen, so wird es ihnen seit Beginn ihrer Kindheit eingebläut. Meilin jedoch beweist mit jedem Schritt das Gegenteil. Die Welt selbst entfaltet durch die Cardinal Spirits eine mythologische Tiefe. Qinglong, Zhuque, Xuanwu und Baihu verkörpern die vier Himmelsrichtungen und Elemente. Dabei steht Qinglong, der Wasserdrachengeist, im Zentrum, an den Meilin gebunden ist.  

Neben Meilin prägen insbesondere Liu Sky und Cao Ming Lei die Dynamik der Handlung. Sky ist einer der wenigen positiven männlichen Figuren, charmant, klug und empathisch, eine Art „green flag“ in einem Umfeld voller Gift und Intrigen. Er akzeptiert Meilin, wie sie ist, und ihre gemeinsamen Momente sind ebenso zart wie zu kurz. Ganz anders wirkt Cao Ming Lei, der zunächst als Antagonist ins Spiel kommt, kalt und gefährlich, später jedoch eine Vielschichtigkeit offenbart, die ihn zu einer der interessantesten Figuren des Romans macht. Mal Verbündeter, mal Gegenspieler, strahlt er eine moralische Grauzone aus, die sowohl fasziniert als auch Unbehagen weckt.

Die Sprache K.X. Songs ist lyrisch und bildhaft. Mit jedem Kapitel zieht sie unweigerlich in ihre Welt hinein und lässt einen zwischen Blut, Feuer, Wasser und Dunkelheit taumeln. Die Geschichte wird sowohl zu einer Neuinterpretation als auch zu einer radikalen Neuerfindung, die bekannte Stoffe aufgreift, sie aber mutig verwebt.

Carmen Schiestek

 

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