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Der Verrat des Verräters?

Rezension zu "Harry Potter und der Halbblutprinz"
von Heidi Lexe

Mit dem Öffnen der Kammer des Schreckens wurde im zweiten Band der Potter-Serie bildhaft angedeutet, was sich am Ende des nun erschienenen sechsten Bandes realisiert: Im Vergleich zur ersten Schreckensherrschaft des Lord Voldemort ist Hogwarts nach dessen Wiederkehr nicht länger der einzig vor der Macht des Dunklen Lords sichere Ort. Folgerichtig und dramaturgisch unumgänglich steht auch am Ende dieses Bandes der Tod Dumbledores - der Tod jenes Zauberers also, den Voldemort stets als einzigen gefürchtet hat. Nun aber, im zweiten Krieg, der mit dem Schlusskapitel des fünften Bandes begonnen hat, ist es Harry Potter, dem - der Prophezeiung und dem Mythos der Figur entsprechend - die Aufgabe zukommt, die Herrschaft Voldemorts endgültig zu überwinden. Und ganz der Motivik des Entwicklungs- und Abenteuerromans entsprechend muss er das letztlich eigenständig, also ohne die Hilfe seines Mentors und Beschützers Dumbledore, schaffen.

Unvorbereitet geht Harry Potter nicht in diesen Kampf - dafür hat Dumbledore, sein Ende voraussehend, gesorgt. Ein zweites Verbindungselement zum zweiten Band führt den Beweis: das Tagebuch des Tom Riddle. Harry Potter und mit ihm die LeserInnen erfahren nun um dessen wahre Bedeutung: Es ist einer von sechs so genannten Horcruxes, in die Lord Voldemort Teile seiner Seele gebannt hat.
Mit diesem Motiv der Seelenspaltung gibt Joanne K. Rowling ihrer Roman-Serie eine völlig neue Wendung: Der finale Kampf zwischen Harry Potter und Lord Voldemort wird nicht (oder nicht nur) ein Zweikampf im Sinne des Action-Kinos sein, das im fünften Band so nachhaltig Einzug in die Potter-Serie gehalten hat (und sich auch jetzt noch im manchmal recht unmotiviert erscheinenden Aufmarsch neuer Figuren zeigt); vielmehr bedarf der Sieg über Lord Voldemort umfangreicher Vorarbeit, der Recherche und genauen Kenntnis des Dunklen Lords. Und auf diesen Weg wird Harry Potter von Dumbledore geschickt.

Joanne K. Rowling verlangsamt damit auf angenehme Weise ihren Erzählduktus. Nicht mehr Grimmauld-Place, der geheimnisumwitterte Mittelpunkt der Aktivitäten des Ordens oder externe Action-Szenerien stehen im Mittelpunkt, sondern die Schule. Harry Potter kehrt in seinem sechsten Schuljahr im wörtlichen wie übertragenen Sinn nach Hogwarts zurück. Manches hat sich gewandelt: Der jugendliche Held selbst hat sich ein wenig abgekühlt, den Weltschmerz und den pubertären Größenwahn am Grimmauld Place zurückgelassen. Er hat (mit angemessenem Pathos selbstverständlich) sein Schicksal anerkannt und gelernt, dass dieses Schicksal nicht wie in der Prophezeiung suggeriert fremdbestimmt ist, sondern er selbst darüber entscheidet. Darüber hinaus erhält die Anerkennung seiner Rolle im Weltenlauf der Zauberwelt nun auch von Außen eine neue Qualität: Die Rückkehr Voldemorts gilt nicht mehr als Hirngespinst eines selbstverliebten Außenseiters, sondern als Tatsache, die sich in täglich neuen Schreckensmeldungen über verschwundene oder ermordete Zauberer und Hexen manifestiert.

Hogwarts erscheint in diesem zunehmenden Schreckensszenario vorerst noch einmal als sicherer und in sich geschlossener Ort. Dem entsprechend erlangt auch der jugendliche Alltag wieder stärkere Aufmerksamkeit: Ron und Hermine strapazieren mit ihrem ewigen Hick-Hack unsere Nerven, bis es endlich zu einer Neuentwicklung in ihrer Beziehung kommt - die wohlgemerkt anders verläuft als wir uns das vorgestellt haben und Joanne K. Rowling zu köstlichen Schilderungen menschlicher Ineinanderverschlingung animiert. Und auch Harry darf endlich seine Schüchternheit überwinden und als Vorausschau auf seine Rolle als männlicher Held amouröse Entscheidungsfreude und Handlungskompetenz zeigen.

Dass auch der Unterricht selbst (als Parallelhandlung zu den Unterweisungen, die Harry von Dumbledore erfährt) wieder mehr Bedeutung bekommt, zeigt sich in der Umbesetzung des Lehrerkollegiums: Mit Professor Slughorn hält ein Lehrer in Hogwarts Einzug, mit dem Rowling an die karikierende Figurenzeichnung eines Gilderoy Lockhart - und damit wohl an einen ihrer erzählerischen Höhepunkte - anknüpft.
Zur großen Überraschung jedoch unterrichtet Slughorn nicht Verteidigung gegen die Dunklen Künste, wie es das Gesetz der (Potter- ) Serie erwarten ließe, sondern übernimmt Zaubertränke. Damit wird auf Dumbledores besonderen Wunsch hin der Weg für Professor Snape in dieses Unterrichtsfach frei. Ihm wird aber nicht nur sein seit dem ersten Band kolportierter, sehnlichster Lehr-Wunsch erfüllt; vielmehr erfährt seine Figur mit dem Erzählverlauf des Bandes eine völlig neue Bedeutung (und ist im Übrigen titelgebend).

Bereits im vierten Band erfahren wir, dass Severus Snape schon als jugendlicher Zauberer fasziniert war von den Dunklen Künsten. Zeugnis für seine außerordentliche Begabung legt nun ein altes Zaubertränke-Schulbuch ab, das Harry durch Zufall in die Hände kommt und in dem der einstmalige Besitzer zahlreiche zusätzliche Bemerkungen zu den Zaubertrank-Rezepten sowie eigene Zaubersprüche notiert hat.
Ebenfalls im vierten Band erfahren wir mit Hilfe des Pensieve, das auch diesmal wieder umfangreich zum Einsatz kommt, sowie von Dumbledore, dass Snape zu den Anhängern des Dunklen Lords gehört, sich aber (zu einem uns nicht bekannten Zeitpunkt und aus uns nicht bekannten Gründen) von ihm abgewandt und der guten Seite unter Einsatz seines Lebens als Spion zur Verfügung gestellt hat.
Als sich die Todesser nach dem "Fleisch, Blut und Knochen"-Ritual am Ende des vierten Bandes unter dem Zeichen des Dunklen Mals versammeln und - wie Voldemort es formuliert - "der Geruch von Schuld in der Luft liegt", spricht der Dunkle Lord davon, dass einer der Todesser fehlt, "von dem ich glaube, dass er mich für immer verlassen hat …".
Als Dumbledore einige Kapitel darauf zum Unmut des Ministeriums Maßnahmen bezüglich der Rückkehr Voldemorts zu treffen beginnt, wendet er sich auch an Snape:

"Severus", sagte Dumbledore an Snape gewandt, "sie wissen, was ich von Ihnen verlangen muss. Wenn Sie willens sind … wenn Sie bereits sind …"
"Das bin ich", sagte Snape.
Er sah in wenig bleicher aus als sonst und seine kalten schwarzen Augen glitzerten eigenartig.
(Harry Potter und der Feuerkelch, S. 746)

Von Beginn ihrer Serie an positioniert Joanne K. Rowling Professor Snape als faszinierend uneinschätzbare Figur, die in erbitterter Gegnerschaft zu Harry Potter selbst, bezüglich Lord Voldemort aber scheinbar doch auf der gleichen Seite wir der Protagonist steht. Dumbledore, das wird ab dem vierten und nun auch in diesem Band verstärkt betont, vertraut Snape und hat, auch das betont er nachhaltig, verlässliche Gründe dafür. Dass Rowling eine so facettenreiche Figur entwirft, sie mit dem Titel ihres neuen Bandes sogar in den Mittelpunkt rückt, und sich dann so mir nix dir nix, wie zahlreiche Schnellschussrezensionen vom ersten Montag nach Erscheinen der Originalausgabe suggerieren, dafür entscheidet, Snape nun doch flockig auf die dunkle Seite zu stellen, widerstrebt mir gehörig zu glauben! Da lese ich zum Beispiel, dass am Beginn des neuen Bandes ein Verrat steht. Das mag stimmen, nur wer verrät hier wen? So simpel, dass Snape sich ohne aus dem fünften Band ablesbare Vorzeichen plötzlich für die dunkle Seite entschieden hat, kann es nicht sein. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Spions, dem Dumbledore vertraut (und der Dumbledore im Übrigen in den bisherigen Bänden kein einziges Mal widersprochen oder dessen Anweisungen nicht unverzüglich befolgt hat), deutlich hoch ausfallen muss, wenn es wie aus dem vierten Band als Vermutung ablesbar darum geht, sich erneut das Vertrauen des Dunklen Lord zu erlangen. Rowling treibt das literarische Spiel mit der stets zwischen Loyalität zu Dumbledore, Faszination für die Dunklen Künste und Abneigung gegen den identifikationsstiftenden Protagonisten changierenden Figur herausfordernd voran. Nicht umsonst spielt der Orden des Phoenix, der eine Klärung des Standpunktes von Snape ermöglichen würde, in diesem Band keine Rolle. Ich denke, dass die Autorin sich ein kleines Detail für den siebenten und letzten Band aufgehoben hat, in dem der unfehlbare Dumbledore sich geirrt hat. Dass er das jedoch in einer so entscheidenden Frage getan hat? Ohne dass uns dafür auf der Erzählebene eine plausible Erklärung gegeben wird? Und das im Kontext einer Roman-Serie in der Aufopferung, Loyalität, Schuld und Verrat so zentrale Motive sind? Nope.

Aber wie immer wirft Joanne K. Rowling mit jeder Antwort die sie gibt, zahlreiche neue Fragen auf. Darin liegt die Stärke ihres Erzählens. Und: das steigert die Spannung auf den siebenten Band ins Unermessliche - so mau kann der sechsten vom englischen Boulevard und dem deutschen Feuilleton gar nicht geredet werden …

Heidi Lexe

 

 


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