STUBE-Freitag: Gastland Schweiz
mit Elisabeth Eggenberger
Das angewachsene STUBE-Team mit Praktikantin Anna Helbok (zweite v. links) und Gast Elisabeth Eggenberger (vierte v. links).
Heidi Lexe ist Heidi-Expertin.
Kathrin Wexberg kennt die schweizer Ur-Stoffe.
Anna Helbok probt schweizer Dialekte.
Von Heidi, Tell und Asterix bei den Schweizern
Zu Beginn des STUBE-Freitags am 29. April 2016, der sich ganz den Kinder- und Jugendmedien aus und über die Schweiz widmete, wurden die Kenntnisse der Besucher*innen über das gebirgige Nachbarland getestet. Vom "Harry Potter der Lüfte" über historische und fitkionale Ereignisse am Genfer See zu unvergesslichen Filmklassikern spannte sich das Quiz zum Gastland Schweiz und entfachte nicht nur rauchende Köpfe, sondern sorgte auch für einen heiteren Einstieg zum wahrscheinlich "längsten STUBE-Freitag ever".
Heidi Lexe eröffnete die thematische Schweiz-Schau mit unterschiedlichen Heidi-Ausgaben, die im Laufe der Zeit den Mythos Schweiz gehörig mitbestimmten. Das Spektrum reichte von der liebsten Textfassung aus der eigenen Kindheit über illustrierte Ungerer- oder Binder-Bilderbücher zu den verschiedenen Filmfassungen seit 1937. Die spezifischen Umdeutungen, die die Figur Heidi seit den ersten beiden Romanen aus den Jahren 1880 und 1881 mitmachte, wurden anhand von Medienbeispielen samt Film- und Theatergrößen wie Shirley Temple und Bruno Ganz erkennbar, aber auch durch Heidi Lexes langjährige Heidi-Studien, die sie immer wieder selbst in die Schweiz führten und vor kurzem erst ins fachliche Heidi-Paradies brachten: Das Johanna-Spyri-Archiv am SIKJM (Schweizer Institut für Kinder- und Jugendmedien).
Eine ähnlich breite Rezeption erfährt wahrscheinlich nur eine weitere literarische Figur aus der Schweiz: Wilhelm Tell. Kathrin Wexberg begab sich auf die Spuren des Rütlischwurs, des Apfelschusses und deren vielfältige Darstellungen in Kinder- und Jugendliteratur. Ausgehend von den schweizer Autor*innen, die sich an die Tell-Geschichte heranwagten, folgten weitere Querverweise auf die "großen Erzählstimmen" des Landes: Jürg Schubiger, Franz Hohler, Peter Stamm ... Am Ende kehrte Kathrin Wexberg wieder zurück zu Wilhelm Tell und zeigte anhand Anne Richters und Mehrdad Zaeris Bilderbuch "Prinzessin Sharifa und der mutige Walter", wie die Erzählung in zeitgenössischen Formen neu gedeutet werden kann.
Schon während des Quizzes am Amfang des STUBE-Freitags wurden erste schweizer Begriffe in dialektaler Form eingespeist: Die standarddeutschen Bedeutungen von "Chäschueche" und "Glacé" galt es zu erraten. Anna Helbok verstärkte die Aufmerksamkeit auf das "Schwizerdütsche", das es im Singular wahrscheinlich gar nicht gibt, wie es sich in einer angeregten Diskussion mit dem Publikum herauskristallisierte. Anhand von drei Beispielen aus der Populärkultur wurde ersichtlich, wie die Sprachvarietät handlungsbestimmend sein und wie humorvoll mit Sprache gearbeitet werden kann. Ob bei einer grotesken "Herr der Ringe"-Adaption, bei einer "Ein Schweinchen namens Babe"-Synchronisation oder bei einer "schwizerdütschen" Asterix-Ausgabe: Dialekt ist in.
Der "Klischee-Alarm" war zum Glück kein Dauerzustand.
Simone Weiss geht einmal über den Gotthard und wieder zurück.
Elisabeth Eggenberger überschreitet Grenzen.
Rahel Conzett baut (kulinarische) Brücken.
Peter Rinnerthaler betrachtet Bilder aus der Schweiz.
Vom Gotthard bis ins Verzascatal
Noch bevor der STUBE-Freitag richtig begonnen hatte, wurde Elisabeth Eggenberger (Redakteurin des Magazins "Buch&Maus") vom STUBE-Team mit einem roten Warnschild ausgestattet, auf dem das Wort "Klischeealarm" zu lesen war. Von Anfang an war klar, dass es kein Abend ohne Klischees werden könnte; vorbereitet wollte man aber sein. Elisabeth Eggenberger zückte das Schild auch das eine oder andere Mal und konnte dank ihrer langjährigen Erfahrung im Bereich der KJL und als Schweizerin immer wieder "beratend" eingreifen.
Simone Weiss widmete sich Sachbüchern, die entweder von schweizer Buchschaffenden stammen oder über die Schweiz berichten. Eine Art "Tour des Suisse" (auch Titel eines der vorgestellten Bilderbücher) entstand durch die Vorstellung und Analyse verschiedener Titel mit Schweizbezug. Höchst aktuell war dieser Blick auf die Schweiz aus zweierlei Gründen. Einerseits durch die Vorstellung des Bilderbuches "Über den Gotthard" (NordSüd Verlag), das bereits im Frühjahr passend zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels am 1. Juni 2016 erschienen ist. Andererseits befand sich mit Adrienne Barmans Tiersachbuch "Walross, Spatz und Beutelteufel" ein Gewinner des vom SIKJM verliehenen Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreises 2015 unter den Schweiz-Sachbüchern.
Die fünf weiteren Titel dieses Preises wurden von Elisabeth Eggenberger selbst vorgestellt: Ronald Churchod: La nuit quand je dors ... (Editions du Rouergue), Lorenz Pauli und Miriam Zedelius: Pass auf mich auf! (atlantis), Regina Dürig: 2 1/2 Gespenster (Beltz und Gelberg), Jean Noel Sciarini: Autopsie d'un papillon (La Joie de lire) und Tom Tirabosco: Wonderland (Atrabile). Ein ganz besonderer Einblick in den schweizer Kinder- und Jugendbuchbereich stellten die Buchbesprechungen dar, da manche der Titel noch nicht in der deutschen Übersetzung erschienen sind oder gar nicht erscheinen werden. So konnte Elisabeth Eggenberger verstärkt auf die Besonderheit des schweizer Buchmarktes hinweisen, der anders als in Deutschland oder in Österreich von drei Sprachen (Deutsch, Italienisch, Französisch) geprägt wird.
Den ersten kulinarischen und emotionalen Höhepunkt an diesem Abend setzte Rahel Conzett (Absolventin und Skriptenautorin des Fernkurses und Aufbaukurses Kinder- und Jugendliteratur). Extra aus der Schweiz angereist und schwer bepackt mit einem vollen Korb Schweiz-Spezialitäten, stellte sie eine Vielzahl an amtlichen, literarischen und persönlichen Verbindungen zwischen der STUBE und der Schweiz her. Jeder Konnex wurde mit einem Mitbringsel aus dem Geschenkkorb verbunden, sodass am Ende das ganze STUBE-Team mit Käse, Schokolade, Getränken und vielen weiteren Devotionalien aus der Schweiz versorgt war. Natürlich musste Rahel Conzett auch darauf hinweisen, dass es kein Zufall sein kann, dass wie in der Schweiz auch im STUBE-Team eine Heidi und ein Peter zusammenarbeiten.
Kurz darauf war der STUBE-Peter an der Reihe und richtete den Blick auf die schweizer Illustrator*innenszene. Anhand des transparent gemachten Rechercheprozesses bekamen die Zuhörer*innen einen kurzen Überblick über die Bilderbuch- bzw. Comicszene der Schweiz. In fünf Kategorien, die vom Buchbestand der STUBE geprägt waren, wurde die Aufmerksamkeit auf die Namen Käthi Bhend, Hannes Binder, Kathrin Schärer, Jörg Müller, Mario Grasso, aber auch auf das schweizer Phänomen "Globi". gerichtet. Auffallend dabei war, dass sich viele der vorgestellten Bilderbücher durch die besondere Lust an ästhetischen Erzählformen auszeichneten und mehrere ältere Werke auf Grund der innovativen Illustrationen wesentlich aktueller wirken als das Erscheinungsdatum verrät.
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Das bunte Abbild der Schweiz rund um den STUBE-Freitag: Heidi, Globi, Schoki, ...
Literaturliste (Auswahl)
Johanna Spyri: Heidi. Lehr- und Wanderjahre. Eine Geschichte für Kinder und solche, die Kinder liebhaben. Ill. von Martha Pfannenschmid. Werdverlag 2001.
Johanna Spyri: Heidi. Mit Zeichnungen von Tomi Ungerer. Zürich: Diogenes 2000 [1978].
Peter Stamm / Hannes Binder: Heidi. Nach einer Geschichte von Johanna Spyri. Nagel&Kimche 2008.
Dorothea Binder: Das Heidi-Kochbuch. Schweizer Rezepte. Ill. von Hannes Binder. Nagel & Kimche 2010
Johanna Spyri: Heidi. Die Gesamtausgabe. Ill. von Rudolf Stüssi. Desertina 2000.
Johanna Spyri/Ilse Bintig: Heidi. Kinderbuchklassiker zum Vorlesen. Ill. von Daniele Winterhager. Arena 2001.
Johanna Spyri: Heidi. Heidis Lehr- und Wanderjahre. Ill. v. Maja Dusíková. NordSüd 2015.
Johanna Spyri/Barbara Rose: Heidi. Ill. Von Tina Kraus. Ellermann 2012.
Heidi. Film von Luigi Comencini. Schweiz 1952. 100 min.
Heidi. Film von Werner Jacobs. Österreich 1965. 91 min.
Heidi. Film von Allan Dwan. USA 1937. 88 min.
Heidi. Film von Alain Gsponer. Deutschland 2015. 106 min.
Clouds of Sils Maria. Film von Olivier Assayas. Deutschland/Frankreich/Schweiz 2014. 124 min.
Wilhelm Tell. Neu erzählt von Barbara Kindermann nach Friedrich Schiller. Mit Bildern von Klaus Ensikat. Kindermann 2004. (Hörbuch gelesen von Otto Sander).
Jürg Schubiger: Die Geschichte von Wilhelm Tell. Nagel & Kimche 2003.
Jürg Schubiger: Als die Welt noch jung war. Ill. von Rotraut Susanne Berner. Beltz & Gelberg 1995.
Jürg Schubiger/Franz Hohler: Aller Anfang. Ill. von Jutta Bauer. Beltz & Gelberg 2006.
Franz Hohler: Das große Buch. Geschichten für Kinder. Ill. von Nikolaus Heidelbach. Hanser 2009.
Johann David Wyss: Der schweizerische Robinson. Nacherzählt von Peter Stamm. Fischer 2012.
Peter Stamm: Warum wir vor der Stadt wohnen. Ill. von Jutta Bauer. Beltz & Gelberg 2005.
Anne Richter/Mehrdad Zaeri: Prinzessin Sharifa und der mutige Walter. Zwei alte Geschichten neu erzählt. Baobab Books 2013.
The Ring Thing. Film von Mark Schippert. 74 Min. Schweiz 2004.
Ein Schweinchen namens Babe. Film von Chris Noonan. 92 Min. Australien 1995.
René Goscinny/Albert Uderzo: Asterix bei den Schweizern. Comic Collection, Egmont, Berlin Köln 2015 (E.A. 1973).
Yvonne Rogenmoser: Über den Gotthard. NordSüd 2016.
Daniel Müller: Tour de Suisse. Unterwegs in der Schweiz. NordSüd 2016.
Martin Weiss/Rolf Willi: Die Munggenstalder und der Klostersturm. Orell Füssli 2015.
Adrienne Barman: Walross, Spatz und Beutelteufel. Das große Sammelsurium der Tiere. Aladin 2015.
Maki und Eva Rust: Peters Wutzauber. atlantis 2016.
Doris Lecher: Verhexte Weihnachten. Bajazzo 2005.
Mario Grasso und Marbeth Reif: Die Unterwasserfahrt. BDV Basilius Verlag 1985.
Carlo Collodi: Das Abenteuer des Pinocchio. Übersetzt und illustriert von Mario Grasso. Lappan 2011.
Anita Siegfried und Claudia de Weck: Max ist los! Im Affentempo durch Zürich. atlantis 2001.
Eveline Hasler und Käthi Bhend: Die Nacht im Zauberwald. Ravensburger 2006.
Jörg Müller und Jörg Steiner: Aufstand der Tiere oder Die neuen Stadtmusikanten. Sauerländer 1989.
Mario Grasso: Drehwurm Zirkus. Beltz & Gelberg 1991.
Vera Eggermann und Ueli Kleeb: Das Buchstabenmonster. Atlantis 2000.
Hannes Binder und Lisa Tetzner: Die Schwarzen Brüder. Ein Roman in Bildern. Sauerländer 2002.
Emmanuelle Houdart: Die Monster sind krank. Gerstenberg 2005.
Kathrin Schärer: Johanna im Zug. atlantis 2009.
Germano Zullo und Albertine: Wie die Vögel. Carlsen 2012.
Lorenz Pauli und Kathrin Schärer: Rigo und Rosa. atlantis 2016.
Am Ende ist die Schweiz noch etwas näher an Österreich herangerückt und alle konnten ein Stück vom Land auf der anderen Seite des Bodensees mit nach Hause nehmen.