Krötenarchiv
2008
Kröte des Monats Dezember 2008

Sauerländer 2008
192 S., € 20,50
Dirk Walbrecker / Germano Ovani: Aladin, Ali Baba und Sindbad. Die schönsten Märchen aus 1001 Nacht
Sindbad, Ali Baba und Aladin – drei berühmte Figuren aus „1001 Nacht“. Bekannt sind sie im europäischen Raum allerdings vor allem in ihren verkitscht-klischeehaften Disney- bzw. Hollywoodvarianten. Im arabischen Raum hingegen ist die Märchensammlung in manchen Ländern schwer zugänglich, weil sie von der fundamentalistischen Zensur als zu freizügig abgelehnt wird. Ungeachtet dieser Kontroversen ist die literarische Wirkkraft und Faszination der Texte jedoch ungebrochen, wie Dirk Walbrecker mit der ausführlichen Nacherzählung dieser drei Märchen beweist, die sich durch besondere Fabulierkunst auszeichnet.
Der italienische Illustrator Germano Ovani, erfahren in der Gestaltung von Märchen, hat zwei unterschiedliche Illustrationsformen für das Märchenbuch gefunden, die auf ideale Weise das Bild in den Text hereinholen: Ganzseitige, üppig gestaltete Farbillustrationen bringen eigenwillige Perspektiven ein und bebildern auch die abgründigen, schwierigen Aspekte der Märchen. Dazwischen finden sich wunderschöne Bleistiftzeichnungen, die auf dem gelben Untergrund besonders zur Geltung kommen und durch große Dynamik gekennzeichnet sind. Floral gestaltete Zierleisten und Initialen komplettieren das visuelle Vergnügen. Eine in Text und Bild gelungene Variante der Geschichten aus „1001 Nacht“.
Nicole Kalteis
Kröte des Monats November 2008
Aus dem Engl. von
Mirjam Pressler
Beltz & Gelberg 2008
32 S., € 13,30
Oliver Jeffers: Der Weg nach Hause
Der allumfassende (oder auch: das All umfassende) Sehnsuchtstopos der 1980er Jahre lautete „Nach Hause telefonieren …“) und wurde von einem zerknitterten Außerirdischen ohne Unterkörper ausgesprochen. Dessen Leuchtfinger verwies dabei bedeutungsvoll ins unbekannte Nichts. Heute scheint es ein wenig leichter, diesen Himmelsraum zu erobern – man muss als verwegener kindlicher Pilot nur mit seinem Flugzeug „höher und höher und höher“ steigen. Was aber tun, wenn man am Mond festsitzt und sich ein weiteres Relikt der Achtziger („Kleine Taschenlampe brenn“ ) nicht fruchtbar machen lässt? Der irische Bilderbuchkünstler Oliver Jeffers, der bereits mit „Der unglaubliche Bücherfresser“ gezeigt hat, mit wieviel erfrischendem Unernst sich Bilderbücher gestalten lassen, entwickelt aus dieser ebenso schlichten wie überwältigenden Ausgangssituation die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft. Während der „Incredible Book Eating Boy“ jedoch in einem variantenreich collagierten Papieruniversum sein verfressenes Unwesen getrieben hat, werden die beiden Piloten bekannter Flugobjekte in eine künstlerisch ganz reduzierte Bilderwelt gestellt. Der weitgehend entleerte Hintergrund lenkt den Blick der Betrachter*innen auf die beiden liebevoll skizzierten Kerlchen, die die umsichtige Wartung ihrer Flugmaschinen trotz anfänglichem Schrecken zu intergalaktischen Partnern macht, die für die Beschaffung ihrer Ersatzteile wahrlich ungewöhnliche Reisen auf sich nehmen. Mit leiser Ironie zeigt sich das scheinbar Unüberwindbare dabei als das eigentlich längst erfolgte Abenteuer. Dass eine Freundschaft sich auch dann noch aufrecht erhalten lässt, als beide längst wieder den Weg nach Hause gefunden haben, beruht auf demselben Konzept wie einst E.T.s Heimkehr und vermag dessen tröstliche Stimmung ins neue Jahrtausend zu retten.
Heidi Lexe
Kröte des Monats Oktober 2008
Hanser 2008
192 S.,
€ 17,40
Armin Abmeier (Hrsg.) / Rotraut Susanne Berner: Alphabet und Zeichenstift. Die Bilderwelt von Rotraut Susanne Berner
"A: Alphabet. B: Butterbrotpapier: unentbehrliches Hilfsmittel zum Zeichnen der Druckvorlage für die von ihr gern angewandte Original-Flachdrucktechnik." Fachlich, heiter, farbenfroh und ganz persönlich gewährt dieses Katalogbuch Einblicke in die Bilderwelt der Rotraut Susanne Berner. Ein Begleitbuch das parallel zur Werkschau, der in ihrem Stil unverkennbaren Illustratorin, im Bilderbuchmuseum Troisdorf, anlässlich ihres 60. Geburtstages erschienen ist. Die Bilder zu den 50, fein-säuberlich von A bis Z geordneten Beiträgen von Kolleg*innen, Verleger*innen, Schriftsteller*innen und Freund*innen gewähren Einblicke in ihr breites Schaffen. Neben fachlichen Annäherungen an Werk und Rezeption der Künstlerin, Hintergrundgeschichten über die Zusammenarbeit mit Verleger*innen und Autor*innen finden sich rühmende Gedichte sowie ganz persönliche Anekdoten. Unter J wie Jacke berichtet Wolf Erlbruch von seinen Beobachtungen zum Kleidungsstil Rotraut Susanne Berners ebenso wie über den Austausch persönlicher Arbeitsstile:
"Einmal hat sie mich nach meinem Ordnungssystem im Atelier gefragt. Ganz, als wäre das das Normalste der Welt. Sie besäße eine Treppenleiter, auf deren Stufen die Projekte lägen, auf- oder absteigend der Deadline folgend. Ich konnte nichts dagegen halten."
Bewunderung und Sympathie ist aus diesen Zeilen zu lesen, im Ganzen sei sie, so Erlbruch, zu "lieben und zu loben. […] Nur ihre Katzen haben immer zu kurze Beine."
Wie in der Ansammlung hochgradiger Gratulant*innen, treffen auch in der Auswahl der Bilder alte Bekannte wie beispielsweise die Bürger*innen der Stadt Wimmlingen, Angehörige der Hasenfamilie rund um Karlchen, der beste Hund der Welt und natürlich – jede Menge Katzen (auf kurzen Beinen) aufeinander. Rotraut Susanne Berner selbst hat die Illustrationen zu den Texten mit großer Sorgfalt ausgesucht und erfreut besonders durch die Wahl freier Arbeiten, weniger bekannten Buchcovers sowie selbst verschickter Postkarten und Briefumschlägen. – Ein Geburtstagsband, der auf sehr vergnügliche Art und Weise, zum (wieder)entdecken unzähliger neuer Fassetten der so vielseitigen Künstlerin, in einem sehr privat-persönlichen Ton, einlädt. "Z: Zwiebel: Lieblingsgemüse und -gewürz."
Andrea Kromoser
Kröte des Monats September 2008
Gelesen von Andreas Steinhöfel
Silberfisch 2008
4 CDs,
€ 19,95
Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Emil und die Detektive war gestern. Heute setzt die "Schwerkraft" allerlei "illegale" "Egoismen" in Gang, durch "phänomenale" "Verbesserungsfunktionen" jedoch kommt alles wieder ins "Lot". Dazu braucht es weder einen braven Streber noch eine Bande gewitzter Helfer. Es reichen Rico und Oskar. Seinen Ausgang nimmt das Abenteuer der beiden in der Dieffe 93 - denn wie schon in "Beschützer der Diebe" lotst Andreas Steinhöfel seine Hauptfiguren durch Berlin. Sich dabei zurechtzufinden ist gar nicht so einfach, wenn man wie Rico ein "tiefbegabtes" Kind ist, rechts und links irgendwie nicht auseinanderhalten und - ganz im Gegensatz zu Steinhöfels Protagonisten Max aus "Der mechanische Prinz" - schon gar keinen Stadtplan lesen kann. Mann, Mann, Mann. Da hilft es auch nichts, ein so cleveres Kerlchen wie Oskar kennenzulernen, denn schon bald ist Oskar selbst Opfer des Entführers Mister 2000, dem er eigentlich das erpresserische Handwerk legen wollte. Da gilt es für Rico trotz all seiner Schwächen gehörig Stärken zu mobilisieren.
Mobilisieren: etwas in Bewegung bringen. So hätte Rico es in seinem persönlichen Wörterbuch formuliert, das er als enthusiastischer Ich-Erzähler seinem am Computer verfassten Tagebuch ("Orthografie: Heißt Rechtschreibung in kompliziert.") handschriftlich hinzufügt. Mann, Mann, Mann. Als außergewöhnlich offenherzig verfahrender Erzähler vermag Rico trotz persönlicher Langsamkeit gehörig Drive in die sich ohnehin schon überschlagenden Ereignisse zu bringen…
Als Erzähler vermag Andreas Steinhöfel in der ungekürzten Hörbuchfassung der Geschichte durch seinen schwungvollen und im Tempo mit Bedacht variierenden Ton um eine zusätzliche Ebene von Dynamik und Dramaturgie zu bereichern. Als kleines Highlight am Ende jeder CD leitet der Autor in der Person Ricos mit dessen unnachahmlichem Charme von der einen zur nächsten CD über: "Das dritte Hörbuch ist zu Ende, du musst das fünfte rein tun - ne, Moment, also ... - ist ja nur noch eins übrig, nimm das."
Heidi Lexe
Kröte des Monats August 2008
Esslinger 2008
48 S.,
€ 10,30
Sebastian Meschenmoser: 3 Wünsche für Mopsmann
Ein Mops trotzt, hopst, horcht und hofft und stiehlt dann und wann dem Koch ein Ei. Soweit die allgemeinhin bekannten Charakteristika dieser Hunderasse aus den Quellen der Literatur und Musik. Doch ein Mops kann auch ganz schön einsam sein; und davon erzählt Sebastian Meschenmoser in seinem neuesten Bilderbuch.
„Eines Morgens erwachte der Mopsmann, als der Tag schon halb vorbei war. ‚Ob es sich lohnt, an einem halben Tag überhaupt aufzustehen?‘, dachte Mopsmann.“ Das Grau des Buntstifts dominiert die zum Teil wie skizziert wirkenden Illustrationen, die von vereinzelt gesetzten Farbakzenten mit Buntstift ein wenig an Wärme gewinnen. Die farbliche Eintönigkeit greift dabei die Lebenssituation des tierischen Protagonisten auf und verstärkt sie: Mopsmann schlurft im Morgenmantel durch die großen, nur spärlich möblierten Räume seines Hauses und tappt dabei von einer Enttäuschung zur nächsten. Keine Milch im Kühlschrank, kein Kaffee in der Tasse und der strömenden Regen hat die Zeitung vor der Tür vollständig aufgeweicht. Soweit so ernüchternd. Der aufs Notwendigste reduzierte Text bringt auf den Punkt, was die Trostlosigkeit der Bilder schon so erdrückend vermittelt: „Ein schlimmer Tag war das für Mopsmann. […] So schlimm, dass Mopsmann wünschte, er wäre gar nicht aufgestanden.“
Schnitt –
„Da kam eine Fee. Und die Fee sagte: ‚Himbeerdrops und Sahnetorte, Schokolade jeder Sorte, Kätzchen, Pony, Kuschelschwein, dann musst du nie alleine sein!‘“ Das grelle Pink des Feenkleidchens durschneidet die bis dahin so getragene Atmosphäre, hellgelbe Sterne wirbeln herum und kunterbunte Süßigkeiten fliegen durch die Luft. Die widerspruchslos strahlende Fee verleiht der Handlung und dem Tagesverlauf des Mopsmanns einen Bruch, der es in sich hat. Doch der ist nur wenig beeindruckt und schon gar nicht angetan von den Wunschvorschlägen des fröhlich dahinreimenden Zauberwesens. Doch diese skurrile Wendung wird in der temporeich-furiosen zweiten Hälfte des Buches nicht die letzte sein und treibt den Witz des Buches auf seinen Höhepunkt.
Der für seine vorherigen Werke „Fliegen lernen“ und die beiden Bücher über Herrn Eichhorn vielfach ausgezeichnete Autor und Illustrator lotet hier innerhalb seines Sprach- und Zeichenstils die Extreme aus, um eine unnachahmlich humorvolle und pointenreiche Geschichte zu erzählen, die jenseits allem Spielerischen das Verlangen nach Glück und Überwinden der Einsamkeit thematisiert. Der Mops hopst, horcht und hofft – und manchmal frohlockt er sogar.
Lukas Bärwald

Mit Bildern von Stefanie Harjes
Tulipan 2008
196 S.,
€ 15,40
Annette Mierswa / Stefanie Harjes: Lola auf der Erbse
„Es gab genug Gründe, sich über Lola lustig zu machen, denn sie war einfach anders als die anderen.“ Denn Lola hat rosarote Haare, ist deutlich zu klein für ihr Alter, hat bis auf den alten Fischer Somsen keine Freund*innen und wohnt mit ihrer Mutter auf der „Erbse“, einem mit Blumen übersäten Hausboot. Doch zu alledem prangt seit drei Jahren auf ihrem Hals ein dunkler Fleck. Denn dies ist ihre Erinnerung an den letzten Kuss ihres Vaters, bevor er die Familie plötzlich und für Lola unverständlich verließ.
Die Handlung des Debütromans der Dramaturgin Annette Mierswa bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Aufbruch, Reise und Erwartung der Rückkehr: Während Lola täglich in Gedanken mit ihrem Vater spricht und auf das Wiedersehen mit ihm wartet, blickt der alte Somsen gemeinsam mit ihr auf den Fluss und hält Ausschau nach seinem schon vor langer Zeit versunkenen Kutter. Beide müssen sich mit der Erfahrung des Verlusts eines wichtigen Teils ihres Lebens auseinandersetzen. Bildhaft ist dabei das am Flussufer vertäute Hausboot von Lola und ihrer Mutter: Indem die Tochter sich ständig die Präsenz ihres Vaters in Gedanken herstellt und an der Hoffnung seiner Rückkehr festhält, bleibt sie in ihrer persönlichen Entwicklung gehemmt – ist deutlich zu klein für ihr Alter. Als dann ihre Mutter einen neuen Lebensgefährten hat, setzt Lola alle Hebel in Bewegung, um die beiden auseinanderzubringen und die eigene aufkeimende Sympathie für den jungen Tierarzt durch Trotz und Sturheit zu unterdrücken.
Dem lange Zeit vergeblichen Bemühen um Akzeptanz und Freundschaft begegnet die 8-jährige Protagonistin selbst im Fall ihres stillen Schulkameraden Pelle. Nachdem die ersten Annäherungsversuche fehlgeschlagen sind, findet Lola den Grund für dessen Zurückgezogenheit heraus: Pelle, der eigentlich Rêbin heißt, ist kurdischer Abstammung und gemeinsam mit seiner Familie illegal eingereist. Die zuerst aus Vorsicht und Misstrauen abgeblockte Freundschaft wandelt sich in eine Annäherung zwischen den beiden Kindern, die von stückweise zunehmendem Vertrauen geprägt ist. Durch diese Erfahrung ist es Lola am Ende möglich, den neuen Lebensgefährten ihrer Mutter anzunehmen und sich gedanklich und emotional immer mehr von ihrem Vater zu lösen.
So schließt sich am Ende der metaphorische Kreis aus Aufbruch, Reise und Heimkehr: Zu Lolas neuntem Geburtstag besteigen alle Beteiligten ein Boot und brechen zu einer Schifftour über den Fluss auf. Es ist die erste Reise mit Wiederkehr im Text und damit für Lola die erste Erfahrung, dass ein Fortgehen und Weiterentwickeln nicht mit einem Verlust verbunden sein muss.
Der mit einer Portion schönem Anachronismus verfasste Text wird begleitet von den Illustrationen der ebenfalls in Hamburg lebenden Stefanie Harjes, die hier zum ersten Mal in einem Kinder- und Jugendbuch in Schwarz-Weiß zeichnet und collagiert. In ihren Bildern nimmt sie vor allem die Blumenbegeisterung der Mutter und das Motiv des Wassers auf und legt, aus ihren früheren Arbeiten bereits bekannt, besonderen Wert auf die Kleidung der Figuren. Besonders eindrucksvoll dabei die halbseitige Illustration Lolas, die sie – während ihrer Phase der nachhaltigen Abwehr des neuen Lebensgefährten der Mutter – in einem überdimensionalen Blumentopf stehend mit verschränkten Armen und scharfen Dornen an ihrem Kleid zeigt. Stefanie Harjes arbeitet assoziativ zum Inhalt des Textes und bietet somit in ihren Bildern eine Interpretationshilfe des Geschehens an.
Bild und Text verschränken sich zu einer Geschichte, die viel mehr beinhaltet als die Nachwirkungen einer elterlichen Trennung. Es geht um die kindliche Suche nach emotionalen und faktischen Sicherheiten im Leben und der Angst, einen Schritt aus dem gewohnten (Lebens-)Raum zu tun.
Lukas Bärwald

Aufbau 2008
32 S., € 16,95
Antonie Schneider/ Isabel Pin: Bananen sind krumm, aber nicht dumm
Dass Früchte ihre Geheimnisse haben, hat Heinz Janisch unter dem Titel „Bananenrot und himbeerblau“ einst zusammen mit der Grafikerin Luise Kloos und dem Biologen Kurt Zernig gezeigt und wurde dafür mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuch-preis ausgezeichnet. Nun zeigt die Autorin Antonie Schneider gemeinsam mit der Illustratorin Isabel Pin (die zuletzt ebenfalls für ein Bilderbuch mit Heinz Janisch mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde), dass zu diesen Geheimnissen auch die Reiselust zählt: „Nach Marrakesch/ganz groß und fesch“ reist da zum Beispiel die Birne; die Ananas folgt „in einem alten Wagen. Von Lissabon bis Caracas will sie es wagen.“ Die Reise der Aprikose hingegen ist schnell vorbei:
In einer Kiste am Kai
saßen zwei Aprikosen.
Sie träumten vom Strand in Hawaii
in neuen gestreiften Hosen.
Doch ihre Reise war schnell vorbei,
im Mund eines jungen Matrosen.
Eine ähnlich tragisches Schicksal ereilt übrigens auch die „schöne Malwine, Apfelsine aus Tripolis“. Sie trifft eine Biene auf einer Schiene, doch man sollte sie warnen: „Die Lokomotive mit ihrem Getöff kennt kein Erbarmen.“
Auf grünen Hintergrund lässt Isbel Pin die pechschwarze Lok auf die arme, von dem Text und der Biene umschwirrte Apfelsine zusteuern und erst beim zweiten Mal hinsehen erkennt man, dass sich der weiße Rauch der Lokomotive in Totenkopfform verströmt.
Isabel Pin ist bekannt für ihre Illustrationen in hellen Farben, die flächig und mit deutlich viel Leerraum arbeiten. Figuren werden oft verschwindend klein ins Bild (oder gar an den Bildrand) gesetzt. Hier jedoch arbeitet die in Hamburg lebende Französin großflächiger, collagiert Formen und Figuren aus unterschiedlichen Papieren und Techniken. Größenverhältnisse werden dabei lustvoll aufgelöst – schließlich gerät ja auch alles in Bewegung: Die Früchte ebenso wie die Reime, die von ihrem Schicksal Zeugnis geben. Dem Motiv der Reise entsprechend greifen nicht nur die Figuren Raum, sondern folgt auch der Text in seiner grafischen Gestaltung ihnen nach. Doch dort wo sich zeigt, dass Bananen nicht nur krumm sind, sondern auch komische Sachen machen und die Affen damit zum lachen bringen, ja „zuweilen ohne Grund / sogar verkehrtherum“ musizieren, können sich Farben, Flächen, Formen und Figuren der Dynamisierung ebenso wenig entziehen wie Sprache und Typografie. Und so kullern „Apfelschnitz und Apfelbrei“ fröhlich durchs „Früchteallerlei“ und sorgen fürs höchstes Glück darüber, dass die Kinderlyrik endlich mal wieder auf die Reise geschickt wird.
Heidi Lexe

Carlsen 2008
128 S., € 13,30
Do van Ranst: Rabenhaar
Seit Jahren spielen Bram, Mies, Dorien, Ben, Victor und Stan miteinander die unterschiedlichsten Spiele: Schönheitssalon, Hühnerfarm, Zeitungsredaktion. Jedes Spiel wurde umfangreich geplant; Rahmenbedingungen wurden geschaffen, Requisiten zusammengetragen.
Eine Zeitlang hat auch Rabenhaar zur Gruppe dieser kreativen Verwandlungskünstler*innen gehört: Ein schüchternes Mädchen mit Kopftuch und Namen Fatima, das beim Betreten des Spielortes stets ihre Schuhe ausgezogen hat: Schließlich wurde ihr in der alten Scheune Gastrecht gewährt. Bald jedoch war Fatima in die Gruppe integriert und hat ihr langes, schwarzes Haar auch ohne Kopftuch getragen. Als jedoch Film gespielt und eine Kussszene gedreht werden sollte, hat Rabenhaars konservativer Vater den Spielverlauf jäh unterbrochen.
Die Erzählung setzt ein, als Fatima nach längerer Abwesenheit in die Scheune zurückkehrt und als neues Spiel eine Hochzeit vorschlägt. Bram, der Ich-Erzähler, durchbricht seine von markanten Schwarzweiß-Vignetten begleitete Schilderung durch zahlreiche Rückerinnerungen. Und während die Hochzeit vorbereitet wird zeigt sich an diesen Rückerinnerungen sehr rasch, dass die Geschichte von Spiel und Freundschaft auch eine Liebesgeschichte ist.
Es ist der letzte Sommer der Kindheit, den der niederländische Autor hier wortwörtlich inszeniert – daher mischt sich in die vorerst so heiter erscheinende Kindergeschichte rasch ein beträchtliches Stück Lebensernst. Rabenhaar lenkt den Blick auf ihre familiäre Situation, ihren patriarchalen Vater, der bereits zwei ihrer Schwestern blutjung zwangsverheiratet hat, auf den Druck, der auf viele muslimische Mädchen unter dem Vorwand notwendiger „Reinheit“ ausgeübt wird.
Wo das kindliche Spiel stets für Ausgleich gesorgt hat, bringt diese neue Situation Wut, Scham, Zwistigkeiten und auch ein wenig Neid in die Gruppe. Doch einmal noch erlauben sich Bram, Mies, Dorien, Ben, Victor und Stan den naiv-kindlichen Glauben an das Gelingen des Lebens und erfüllen Rabenhaar den Wunsch, zumindest einmal im Leben aus Liebe heiraten zu können.
Heidi Lexe
"Rabenhaar" ist eines von über 60 Büchern, die in der neuen Themenbroschüre der STUBE unter dem Titel „Einander fremd? Integration in der Kinder- und Jugendliteratur“ zusammengestellt wurden. Die Möglichkeit, die Liste online zu bestellen finden Sie >>> hier
Kröte des MonatsApril 2008
Bajazzo 2008
32 S., € 13,90
Heinz Janisch: Auch die Götter lieben Fußball. Illustriert von Artem.
In zwei Monaten rollt der Ball für drei Wochen anlässlich der Fußball-Europameisterschaft zwischen Österreich und der Schweiz hin und her. Heinz Janisch und der Illustrator Artem haben den Ball aufgenommen und ihn sich in Text und Bild gegenseitig zugespielt. Erzielt haben sie mit ihren gekonnten Kombinationen ein Traumtor namens „Auch die Götter lieben Fußball“.
Anpfiff.
Ab der 1. Seite entspinnt sich ein temporeiches Spiel, bei dem beide Parteien auf hohem Niveau ihr Können beweisen.
Die an die griechische Mythologie angelehnten Götter tragen ein Fußballmatch aus, wobei jeder die ihm eigene Kraft sich zu Nutze machen versucht. „Der Gott der Umwege dribbelte mit dem Ball dreimal um die Eckfahne, da fuhr die Göttin der Ungeduld dazwischen und trieb den Ball quer übers Feld vors Tor.“ Nach Abpfiff schießt der „Gott aller Götter“ den Ball auf Grund des verlorenen Spiels voller Zorn ins All.
Halbzeit.
Das Spiel bekommt eine neue Wendung und der Ball verlagert sich auf dem Spielfeld.
Im All bescheint die Sonne den nun herrenlosen Fußball und nachdem einige Zeit vergangen ist, bilden sich auf ihm Wasser und Land, Berge und Blumen, Tiere und Menschen. Menschen, die mit Tierfellen bekleidet Äpfel per Fuß über die Wiese sich zuspielen und bald den ersten provisorischen Fußball durch die Tore eines an Stonehenge erinnernden Steinportals schießen. Jahre vergehen und schon haben sich Ligen und internationale Wettbewerbe herausgebildet und die Götter „sitzen dann und wann unsichtbar im Stadion, mitten im Gedränge und haben viel Spaß.“
Abpfiff.
Für die Zuschauer*innen war es hochklassiges Match, zu dem sich alle Beteiligten in Hochform und vor allem mit einer gehörigen Portion Spielfreude präsentierten.
Die anspielungsreichen Illustrationen von Artem zeichnen sich vor allem durch den gezielten Einsatz von Licht und Schatten aus, die den einzelnen Bildelementen Tiefe und Dreidimensionalität verleihen. Der Text von Heinz Janisch verläuft in kurzen, pointierten Satzeinheiten, die das Tempo des Spiels aufnehmen und ironisch die Sprache der Sagen und Fußballreporter*innen imitiert.
Fazit.
Ein fantasievoll gestaltetes Bilderbuch über den Ursprung des Fußballs, das ganz nebenbei noch die Herkunft der Welt erklärt und in seinem Zusammenspiel aus Text und Bild die Zuschauer*innen über die gesamte Spielzeit blendend zu unterhalten weiß.
Lukas Bärwald
Verlängerung.
15 weitere Buchrezensionen zum Thema Fußball finden Sie
>>> hier
Kröte des Monats März 2008
Aus dem amerikan. Englisch von Birgitt Kollmann
Hanser 2008
272 S., € 17,40
Joyce Carol Oates: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon
„Eine Weile war ich weg, und als ich zurückkam, war Mom nicht mehr da. Meine Schuld war´s nicht. Mir dürft ihr keine Vorwürfe machen.“ Mit diesen lakonischen Worten der fünfzehnjährigen Ich-Erzählerin Jenna beginnt der Roman, womit in beklemmender Weise das zentrale Moment der Handlung vorweggenommen wird: Bei einem Autounfall kommt Jennas Mutter ums Leben, sie selbst überlebt schwer verletzt. „Im Blauen“, so empfindet sie das durch Medikamente erleichterte Dahindämmern auf der Intensivstation, kann sie von sich wegschieben, was sie danach umso härter einholt: Das Gefühl, am Unfall und damit am Tod der Mutter schuld gewesen zu sein, weil sie ein Hindernis auf der Fahrbahn gesehen hat und ihr ins Lenkrad gegriffen hat. „Jetzt ist nach dem Unfall, Dad. Du kannst mir nicht mehr wehtun.“, diese Worte schleudert sie ihrem Vater, der von der Mutter getrennt war und eine neue Familie gegründet hat, entgegen, ihr bleibt nichts anderes übrig, als zu ihrer Tante und deren Familie zu übersiedeln, in einen anderen Staat, in eine andere Stadt, in eine neue Schule. Alle Versuche der neuen Mitschüler*innen, sich um sie zu bemühen, weist sie brüsk ab, auch die Zuneigung ihrer Verwandten kann sie nicht erwidern, zu tief sitzen Schmerz, Trauer und Schuld. Doch dann lernt sie Crow kennen, einen wilden tätowierten Burschen, der selbst einige Unfälle überstanden hat und auf den ersten Blick zu erkennen scheint, was mit ihr los ist. Crow scheint fix mit einem Mädchen namens Trina verbandelt zu sein, diese wiederum erklärt Jenna unvermittelt zu ihrer besten Freundin und zieht sie mit sich in einen Kreislauf von Abhängigkeit – auf unterschiedlichen Ebenen. Weder ihre Familie noch ihre Therapeutin kommen an Jenna heran, erst als die beiden Mädchen in eine lebensbedrohliche Situation geraten, kann sie sich aus ihren Abhängigkeiten befreien und findet in Crow einen Begleiter bei der Überwindung ihres Traumas. Sprachlich ungemein packend und dicht erzählt, arbeitet die Autorin mit eindringlichen Motiven wie Kälte und Schmerz, stets ganz unmittelbar am Erleben der Protagonistin orientiert. So sperrig der Titel dieses im amerikanischen Original 2006 erschienenen Jugendromans auf den ersten Blick scheinen mag, so unmöglich ist, sich dem Sog dieser außergewöhnlichen Geschichte zu entziehen.
Kathrin Wexberg
Kröte des Monats Februar 2008
Aus dem Französ. von Antoinette Gittinger
Illustriert von Rébecca Dautremer.
cbj 2008
92 S., € 20,60
Philippe Lechermeier: Prinzessinnen.
Eine Spur aus Erbsen erstreckt sich über das majestätische Rot des Vorsatzpapiers. Doch schon der Innentitel beendet jäh das farbkräftige Stillleben: Eine betont missmutig dreinschauende Prinzessin hebt Unterröcke, Kleid und Stiefel und betrachtet das Erbsenmus auf der Unterseite ihres Schuhs. Außerdem wird auf eine in Vergessenheit geratene Variante des gemüsehaltigen Märchens hingewiesen: „Darin wird die Prinzessin von einem Menschenfresser verschlungen. Weil er ein Feinschmecker ist, ergänzt er seine Mahlzeit durch Erbsen. Prinzessin auf Erbsen ist in diesem Fall der Name eines Kochrezeptes.“
Was in dieser Enzyklopädie der vergessenen und ignorierten Prinzessinnen von der ersten Seite an betrieben wird, gleicht im wahrsten Sinne des Wortes einer Dekonstruktion des allgemein verbreiteten Bildes einer Königin in spe:
Angefangen von Prinzessin Boogie-Woogie…
„Einige sagen gehässig, ihre Kleidung sei kitschig, schlampig oder gar lässig. Darüber zuckt sie nur die Schultern und lässt die Banausen ohne Sinn für Originale einfach sausen.“
…über Prinzessin Larifari…
„Ihr Gerede hat weder Anfang noch Schluss, ist alles andere als ein Genuss. Sie unterbricht, kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, doch zum Thema gehört das alles nicht.“
…bis hin zu Prinzessin Amnesie
„Sie verpasst Verabredungen, erreicht nie pünktlich den Zug – und damit nicht genug, kommt sie eine Woche zu früh oder drei Tage zu spät ins Theater.“
Und auch die berühmtesten Vertreterinnen ihrer Zunft bleiben nicht unangetastet: So wird die verräterische familiäre Zugehörigkeit von erwähnter Prinzessin Amnesie und Aschenputtel aufgedeckt („Sie war so vergesslich, dass sie sogar die zwölf Glockenschläge um Mitternacht verpasste“) und auch die Verwandtschaft von Dornröschen und Prinzessin Wölkchen aus der Familie der Faulpelzkönige ans Licht gebracht („Wegen eines läppischen Stichs legt sie sich hundert Jahre zur Ruh’“). Zwischen den doppelseitigen Profilen der 34 Prinzessinnen werden zentrale Bestandteile eines jeden Jungmonarchinnenlebens erläutert und ins rechte Licht ihrer wahren Bedeutung gerückt. Neben Informationen zu ihren Vertrauten, Reisen und Haustieren bekommt man hier ebenso das internationale Fächeralphabet einen Leitfaden für angehende Nachwuchsköniginnen und die Grundregeln der monarchischen Form des Schmollens ans Herz gelegt.
Jede der ironisch-skurrilen Charakterstudien im Kleinformat birgt zahllose Ansätze, um die angerissenen Hintergründe der Figuren selbst mit weiterem Leben zu füllen. Sprichwortsammlung, Bibliografie, Glossar sowie alphabetisch und thematisch geordneter Index machen das vor sprachlichen und grafischen Leckerbissen nur so überschäumende Bilderbuch zu einem wahrhaft königlichen Vergnügen.
Lukas Bärwald
Kröte des Monats Jänner 2008

Sauerländer 2007
64 S., € 13,90
ISBN 3-7941-6109-2
Ulrich Hub: An der Arche um Acht. Illustriert von Jörg Mühle
Seit geraumer Zeit erfreut der Karikaturist Rudi Klein Leser*innen der Tageszeitung DER STANDARD mit Comic-Strips unter dem Titel „Der Lochgott“. Nun stellen Ulrich Hub und Jörg Mühle dieser prosaischen Stimme aus dem Untergrund einen Koffergott zur Seite: Aber Achtung! Wer den Koffer öffnet, kann erblinden.
Doch es liegt ja ohnehin in Gottes Natur an ihn zu glauben, ohne einen Beweis zu fordern …
Der Koffergott ist übrigens ein blinder Passagier der Arche Noah und dient der Überlistung der ein wenig überarbeitet wirkenden Taube, die auf der Arche dafür zu sorgen hat, dass die vorgegebenen Regeln eingehalten werden. (So ist zum Beispiel das Glücksspiel auf der Arche strengstens verboten. Ein Skandal, dass im Handgepäck der Klapperschlangen ein Kartenspiel gefunden wurde!)
Als die Taube jedoch am Beginn der Geschichte den ein wenig unterbeschäftigt im Eis herumstehenden Pinguinen die Tickets für die Arche Noah überbringt, stehen die drei Freunde im Frack vor einem ernsthaften Problem: Zwei Tickets reichen nun mal nicht für drei. Also verfallen die Pinguine auf die Idee mit dem Koffer und bescheren der Taube damit eine zu Herzen gehende Begegnung mit Gott – die für alle überraschend kommt und den Pinguinen in ihrer Innigkeit ehrlich gesagt schon ein wenig peinlich ist… Doch Ulrich Hub, vorrangig als Theaterautor tätig, gelingt es mit Wortwitz und Ernsthaftigkeit, eine herzallerliebste und doch klug philosophierende Geschichte zu erzählen, in der große Fragen mit erfrischender Leichtigkeit angesprochen werden.
Die Geschichte der Sintflut dient dabei als Moment des Zweifels. Aber schließlich – so tönt es aus dem Koffer – kann auch Gott mal ein wenig überreagieren, und wenn dann nicht auch noch die ganze Tierwelt in Zweierreihen aufmarschieren muss, dürfen ruhig die Stürme des Lebens ihre angestammte Rolle übernehmen. Schließlich wurde auch anderorts im Regen vermutet, dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein könnte. Wieso sollten sich also nicht auch Pinguin und Taube während der Sintflut finden?
Heidi Lexe