Studientagung Aufbaukurs Kinder- und Jugendliteratur 2017
Gespannt lauschten die Aufbaukursteilnehmer*innen und Zuhörer*innen den
vielseitigen Vorträgen.
Der Kreativität der Vorträge waren keine Grenzen gesetzt: Von der assoziativen Kunstmappe zum selbstproduzierten Sachbuch über das Kindersachbuch war alles dabei.
Hans-Jürgen Hinnecke präsentiert Lyrik mit einem "Erzählfilz".
Eifrig "beschnüffeln" die Zuhörer*innen Sabine Janiks eigens destillierte Düfte.
Clara Kabon stellt vielseitge Methoden für die Bilderbuchrezepiton mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen vor.
...fragten wir uns gemeinsam mit Alexander Pommer.
Regina Kehn erzählt, Heidi Lexe fragt nach und zeigt auf.
Vom Stephansplatz über das hauseigene Kochstudio auf die Hundewiese, in Rotkäppchens Wald und wieder zurück. Mit Umwegen über Kindergarten, Schule und – und das vor allem – zahlreichen Abstechern in literale Welten.
Diese Reise unternahmen die 33 Teilnehmer*innen aus dem Aufbaukurs des Fernkurs Kinder- und Jugendliteratur (ein Zungenbrecher, dem sich Heidi Lexe bei der Diplomverleihung 33-mal mit Bravour stellte) von 7. bis 9. September 2017 gemeinsam mit dem STUBE-Team. Mit viel Begeisterung und verschiedensten Medien – von Powerpoint und Plakaten über Bilderbuchbühnen bis hin zu Erzählfilzen – präsentierten die Absolvent*innen ihre Projekte.
Ziel des Aufbaukurses war es, den Teilnehmer*innen des Fernkurs Kinder- und Jugendliteratur eine Möglichkeit zu bieten, sich von Oktober 2016 bis September 2017 intensiv und unter ständiger Betreuung der STUBE mit einem Thema aus dem Forschungsbereich der Kinder- und Jugendliteratur auseinanderzusetzen.
Vorgestellt wurden die Ergebnisse dieser Arbeit nicht nur den Mitabsolvent*innen, sondern auch einer Prüfungskommission unter dem Vorsitz der Fernkurs-Herausgeberin Heidi Lexe, Kathrin Wexberg sowie halbtäglich wechselnden Expert*innen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Ein großes Dankeschön geht hierbei an Oliver Hepp, Inge Cevela, ehemalige Leiterin der STUBE und Programmleiterin für Kinder- und Jugendbuch im Tyrolia-Verlag, Sonja Loidl, Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Wien, Henrike Blum, Presse- und Literaturagentin, und Tina Reiter, Tyrolia-Verlag.
Mitwirkende der Prüfungskommission im Uhrzeigersinn: Inge Cevela, Oliver Hepp,Tina Reiter, Henrike Blum und Sonja Loidl.
Quer durch die Genres, Figuren und Motive wurde (fast) alles thematisiert, was zwischen Buchdeckeln zu finden ist – die Rolle des Raben ebenso wie die der Schnecke, Darstellungen von Adaption und Darstellungen großer Brüder, Graphic Novels ebenso wie Theateradaptionen.
Eröffnet wurde die Tagung mit zwei Themen, die wunderbar zur STUBE passen. Neben unterschiedlichsten Spuren schwarzen Humors in der KJL stellte Monika Janska u.a. den in der Literaturgeschichte wohl ersten Drohbrief für Erstleser*innen vor. Darauf folgten mehrere Vorträge zum Theologisieren mit und über Literatur: Hans-Jürgen Hinnecke führte in einer eindringlichen Performance köstliche „WORTsinnVERKOS-TUNGEN“ vor und gemeinsam mit Manuela Schwaiger-Hofmeister setzten wir uns die „religiöse Brille“ auf, um Sebastian Meschenmosers Bildwelten zu durchstreifen. Anschließend zeigte Anneliese Somers-Kracher, wie KJL im kompetenzorientierten Relgionsunterricht fruchtbar gemacht werden kann (auch wenn darin am Anfang nicht immer das Wort war, sondern der Juckreiz) und Maria Hauk-Rakos führte „beyond the veil“ zu den religiösen Dimensionen von Schwellen und Übergängen in der phantastischen KJL. Kurz vor der Mittagspause vergegenwärtigte Sabine Janik als „aktive Bedufterin“ mit eindringlichen (aber durchaus angenehmen!) olfaktorischen Erlebnissen ihre Analysen zur Figur des Hundes.
Am Donnerstagnachmittag grüßte dann das Kinder- bzw. Kunstsachbuch, das einerseits von Bettina Deutsch-Dabernig in Form eines 6 Kilo schweren (Sach-)Buches und mithilfe mathematischer Abstraktheits-Suffix-Verfahren vorgestellt wurde. Dass das Rezipieren von Kunst bedeutet, eine eigene Sprache zu lernen, und wie diese Kunst in Sachbüchern dargestellt werden kann, zeigte Silvia Vignoli. Den Tagesabschluss bildeten zwei Vorträge zum kulturellen Fremd- und invidiuellen Anderssein. Astrid Seib-Marx stellte Bilderbücher zur Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund vor, während Petra Öllinger im STUBE-Kochstudio ein eigens abgestimmtes Vortragsmenü zur Essensverweigerung bei tierischen und menschlichen Protagonist*innen servierte.
Tierisch ging es auch am Freitag weiter: Lena Spiekermann, Tamara Zoltan und Ruth Eggenberger stellten sich dem Zungenbrecher der An-thro-po-mor-phi-sie-rung und analyiserten die Rolle der Maus, des Raben und der Schnecke in der KJL. Danach widmeten wir uns dem visuellen Moment: Nach Clara Kabons Plädoyer auch – oder gerade – Kindern mit besonderen Bedürfnissen in der Bilderbuchrezeption etwas zuzutrauen, tauchten wir mit Kathrin Hömstreit in literale, metafiktive Bilderbuchwelten ein und staunten über die Vielfalt der Gestaltungsweisen von Pop-up-Bilderbüchern, die Evelyn Gangl lebendig werden ließ. Ganz genau blickten wir mit Irene Lindorfer auf Shaun Tans Bildersprache in „The Arrival“ und vollführten anschließend eine 180-Grad-Drehung zur Erzählform des fiktionalen Tagebuchs, dessen Fragmentiertheit und Subjektivität von Susanna Bahr in den Blick genommen wurde.
Den Individuationsprozessen in Oscar Wildes Märchen ging Ulla Reiterer am Freitagnachmittag in ihrer Analyse anhand von C.G. Jungs tiefenpsychologischen Theorien auf die Spur. Belinda Kathan widmete sich der Symbolik und kulturgeschichtlichen Bedeutung rothaariger Mädchen in der KJL. Fremdsein und Identitätsfindung ließen uns auch in Martin Deutschs Vortrag nicht ganz los, in dem er die Darstellung von Adoption im Bilderbuch kritisch untersuchte. Zum Ausklang des Tages brachte uns die aus dem Iran angereiste Elham Moghadas kinderliterarische Adaptionen von den Erzählungen zweier persischer Mystiker näher.
Den dritten und letzten Tagungstag eröffnete Sabine Klamm mit empirischen Eindrücken aus ihrer Arbeit mit Martin Baltscheits „Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte“ und dessen intermedialen Bearbeitungen in der Schule. Dem Stichwort Intermedialität blieben auch die darauffolgenden Vorträge von Isabel Kirsche und Alexandra Holmes verhaftet: Beide beschäftigten sich mit der Transformation bzw. Metamorphose kinder- und jugendliterarischer Vorlagen auf der Theaterbühne und deren wirtschaftlich prekärer Situation. Mit einem auf dem Buchmarkt weitaus boomenderen Genre setzte sich Gudrun Kapeller auseinander, die Sicklit jenseits der Bestseller anhand ihrer Darstellung sozialer Beziehungsgeflechte untersuchte. Ebenfalls um soziale Rollen (genauer gesagt: um das Nichtentsprechen des großen Bruders gegenüber seiner idealisierten Rolle des Beschützers) ging es bei Simone Weiss, einer ehemaligen Mitarbeiterin der STUBE.
Im Anschluss daran tauchten wir schießlich Schritt für Schritt ein in das Phantastische: Alexander Pommer, freier Mitarbeiter der STUBE, stellte seiner komplexen Analyse der Funktionen des magischen Realismus in der Jugendliteratur entzückende Bleistiftzeichnungen aus eigener Hand gegenüber, Eszter Németh entführte in den nicht immer märchenhaften Wald der Rotkäppchen-Bearbeitungen und Sabine Schütz untersuchte nichts weniger als die Kindbilder in kanonisierten Texten der kinderliterarischen Phantastik. Das aber nicht genug des Ortswechsels: Zunächst versetzte uns Veronika Luther in eine Schulklasse, in der alle Zuhörer*innen gleich mal eine Klassenarbeit schreiben mussten. Danach verlegte Dagmar Weisenbach mit einer explizit literatur-geographischen Lesart den Fokus auf Berlin in der aktuellen KJL. Abschließend blickten wir gemeinsam mit Lena Hinrichsen aus buchwissenschaftlicher Perspektive auf Strategien der Markenbildung bei Bestsellern wie „Der Grüffelo“.
Und so führte der Weg unaufhaltsam zum Ende – zur wohlverdienten feierlichen Verleihung der Diplome.
Das vollständige Tagungsprogramm, Impressionen der Vorträge sowie Handouts der Referate finden Sie >>> hier
Über und mit den unterschiedlichsten Medien wurde mit Begeisterung gearbeitet. Im Uhrzeigersinn: Evelyn Gangl, Eszter Németh, Astrid Seib-Marx und Kochfuchs von Petra Öllinger.
Im Anschluss daran gab es die große Belohnung: den Besuch von Regina Kehn. Im Werkstattgespräch mit Heidi Lexe spazierte sie gemeinsam mit den gebannten Zuhörer*innen durch ihr vielseitiges Werk:
Kritisch betrachtet sie heute teilweise ihre Illustrationen zu „Ali Baba und die 40 Räuber“, deren spielerischen Zugang zum Thema sie mit Blick auf ihre aktuellen Erfahrungen mit Flüchtlingen jetzt anders gestalten würde. Und auch die Eindeutigkeit von Geschlechteridentitäten verwische sie in ihren neuen Arbeiten immer mehr.
Befreiend hat sie ihre Arbeit am „Literarischen Kaleidoskop“ im Schneiderhäusl in Erinnerung, wo sie „lauter Dinge getan [hat], die man eigentlich gar nicht tun darf als Illustratorin“ – wie zum Beispiel einmal nichts fertigzumachen. Und dann wurde es doch fertig. Und sogar für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Ganz persönlich und emotional war darin ihr Zugang zu den Gedichten, deren Verse sie selbst als Teil der Gesamtkomposition mit der Hand schrieb.
Besonders berührend war es, als sie über ihre Arbeit an „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“ (Text von Kristen Boie) sprach. Dessen Illustrationen wurden unter anderem von Originalfotografien und -aufzeichnungen inspiriert.
Sehr unterhaltsam war für sie die Arbeit an ihrem neuesten Buch „Nirgendwo ein stiller Ort“, das sie selbst in Text und Bild und mit „viel Lust auf die Farbtonne zu hauen“ gestaltet hat, nachdem sie davor vor allem einfarbige Illustrationen wie in „Freunde der Nacht“ (schwarz-weiß; Text von Matthias Morgenstern) oder „Meine seltsame Woche mit Tess“ (ganz in blau; Text von Anna Woltz) gezeichnet hatte.
Lange war schließlich die Schlange am Büchertisch und beim Signieren, wo Regina Kehn jedem/jeder eine exklusive, individuelle Zeichnung mit auf den Weg gab.
Und wer jetzt Lust bekommen hat: Die >>> Anmeldung zum nächsten Fernkurs läuft noch bis Ende September - und sollte getätigt werden. Mindestens wegen der Empanadas. Die gab's zum Abschluss bei der großen Sause.