Sehnsuchtsort Meer


Nora Hoch: Das Salzwasserjahr  

Dunkelbunt und dazwischen: Ich. So fühlt sich Jannik als er an jenem Ort ankommt, an dem er sein Austauschjahr verbringen wird. Der australische Küstenort Byron Bay ist ein Paradies für Surfer*innen, er selbst surft aber nicht. Und doch ist das Meer der Ort, an dem er sich wohl fühlt und den er gerade in diesem neuen Land mit einer fremden Sprache und in einer neuen Familie dringend braucht. Dort trifft er auf spannende Figuren wie auf den Obdachlosen Beautiful, der dort lebt, über den Kapitalismus philosophiert und immer eine Lebensweisheit parat hat. Und dann ist da noch Sienna, ein geheimnisvolles Mädchen, gleichzeitig neben ihm sitzt und unerreichbar ist. Jannik verliebt sich in die eigenwillige Art der Surferin, die Beziehung zwischen den beiden bleibt aber kühl und distanziert – wären da nicht die Wort-Geschenke, die eilig auf Papierfetzchen geschrieben und ausgetauscht werden. Sie kennzeichnen die Besonderheit der Beziehung zwischen den beiden Jugendlichen, für die es keine wirkliche Benennung gibt. Dort finden sich Worte wie Traumtänzer, Flügelschlag oder Fernweh: Wörter, die die besondere Meer-Atmosphäre des Romans einfangen, die durch Scribblebook-hafte Elemente noch verstärkt wird. Vor allem dann, wenn Jannik zurück in Deutschland ist und sich nur nach einem Ort sehnt: dem Meer.  
Mit Ill. V. Annika Heine. 
dtv 2020. 
2019 S.
 

Marlies van der Wel: Seesucht

Ein Mensch gehört an Land und nicht ans Meer. Und schon gar nicht ins Meer. Bereits mit zwei Jahren zweifelt Jonas an dieser Aussage. Als er zum ersten Mal vor dem großen, weiten Ozean steht, ist es Liebe auf den ersten Blick. Doch als Mensch ist es nicht so einfach, mit den Fischen zu tauchen, wenn man Wasser schluckt und die Luft ausbleibt. In mehrfachen Jahressprüngen begleiten wir den Protagonisten, wie er als 8-, 18-, 30- und 80-Jähriger versucht, seine Meeressehnsucht zu stillen. Beginnend mit einem Regenschirm als Schwimmvehikel werden seine aus Strandgut zusammengezimmerten Hilfsmittel, die ihn auf und ins Meer bringen sollen, immer größer und erfinderischer. Parallel werden die Gefährte seiner Kontrahenten – zwei Fischer, die ebenfalls am Meeresufer leben – immer pompöser und technisch avancierter. Improvisierter Steampunk trifft dabei auf protzige Industrialisierung. Der Text aber bleibt ganz reduziert: Die Hauptrolle übernehmen in dem auf einem Animationsfilm der Verfasserin basierenden Bilderbuch die beeindruckenden Bilder in tiefem Blau, Grün und Schwarz. Das Wechselspiel von Licht und Schatten im Wasser und an Land verkörpert Rückschläge und bringt Jonas doch an sein Ziel: Mitten im Meer. Für immer. 
Aus dem Niederländ. von Birgit Erdmann. 
mixtvision 2021. 
o. S. 
 


Alexandra Helmig und Stefanie Harjes: Der Stein und das Meer 

Direkt an seinem Sehnsuchtsort zu leben und zugleich keine Chance zu haben, diesen auch zu erreichen: Das ist das Schicksal eines kleinen grünen Steins, der einen Wunsch formuliert. Er möchte mit all den Dingen sprechen, die das Meer an ihm vorbeiträgt; denn er selbst thront auf einem Felsen inmitten der Brandung, an den er gefesselt zu sein scheint. Und es ist eine schier endlose Zeit des Wartens. Viele Jahre später liegt dieser Stein namens Sören immer noch auf einem Felsen im Meer. Es passiert also eigentlich nicht viel – und dennoch Zahlloses, denn die Illustrationen sind aufgeladen mit Fragmenten dessen, was Menschen über Jahrhunderte hin erlebt oder sich vorgestellt haben. Stefanie Harjes dynamisiert ihre Doppelseiten durch die breiten Pinselstriche eines Tusche-Meeres und reichert Wasser, Strand und Himmel mit collagierten, gezeichneten, geklebten Requisiten und Figuren an. Die Elemente gehen dabei ineinander über und manifestieren sich in faszinierenden Figurationen, Frauenkörpern oder hybriden Wesen. Man taucht in eine Traumwelt und endet dort, wo ein am Strand aufgelesener Stein zum Glücksbringer wird. Und wo seine Reise aber nicht zu Ende ist, denn das Mädchen hat anderes vor … Und so beginnt die Zeit des Wartens am Sehnsuchtsort erneut. 
mixtvision 2020 
o. S. 
 

Elisabeth Steinkellner und Michael Roher: Vom Flaniern und Weltspaziern  

In diesem Band voller Lyrik und Sprachspiele erkunden die beiden Künstler*innen vier unbestimmt bleibende Ecken der Welt. Unter diesen vier Erdteilen, denen jeweils eine doppelseitige Farbillustration von Michael Roher vorangestellt wird, bekommen Meer, Sommer und Urlaub einen ganz besonderen Raum zugestanden. Fenster geöffnet / Blau entdeckt / Fisch gerochen / Salz geschmeckt / schon war die Liebe / zum Meer geweckt, heißt es etwa in einem Gedicht mit dem Titel „Ganz einfach“. Ob in wenigen Versen oder in mehrstrophigen Erzählgedichten, ob lautmalerisch oder als (Pack-)Liste zusammengetragen – der Fülle an Sprachkunst und lyrischen Annäherungen an unterschiedliche Lebens- und Meeresräume sind hier keine Grenzen gesetzt. Ergänzt werden die Texte zusätzlich um Schwarz-Weiß-Illustrationen. Der kindliche Alltag im Strandbad, das Wundern über das Erwachsensein, der Sand zwischen den Zehen und der Urlaub in Österreich samt Besuch im Kaffeehaus – all das wird hier (sprach-)bildlich umgesetzt und eröffnet ein Kaleidoskop an Eindrücken, die einladen: Zum Flaniern und Weltspaziern – wobei auch die eine oder andere Einladung eingeschrieben ist, selbst lyrisch aktiv zu werden. 
Tyrolia 2019. 
112 S.
 

Sommerliches Meer


Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess 

Eine Ferienwoche auf einer Insel – wo andere unbeschwerten Urlaub am Strand verbringen, spinnt der zehnjährige Samuel seine als seltsam geltenden Gedanken und Fragen, die in seiner Familie zunächst nur wenig Resonanz finden: Fand der letzte Dinosaurier es schlimm zu sterben? Warum müssen die letzten Jahre im Leben so blöd sein? Zudem bricht sich sein Bruder das Bein. Ein eher verschmerzbares Erlebnis, aber auch der Grund, warum er die etwas ältere, selbstbewusste Arzttochter namens Tess kennenlernt. Und ab dann steht plötzlich ein ganz anderes Thema im Mittelpunkt: Deren Suche nach ihrem Vater. Ohne ihm zu verraten, wer sie ist, lädt Tess ihren nichtsahnenden Vater in das Ferienhaus ihrer Mutter ein – sie möchte ihn schließlich erst kennenlernen, bevor sie sich entscheidet, ob sie einen Vater in ihrem Leben will … Die empathische Erzählweise der niederländischen Autorin findet in Regina Kehns Illustrationen eine geniale Entsprechung: Mit Gespür für Symbolik, aber auch für Gegenständlichkeit, greifen sie die jeweiligen Themen auf und führen sie mal dynamisch-spielerisch, mal sinnbildlich-philosophierend weiter. Und so ist alles Seltsame letztlich kein Problem, sondern liebenswerte Besonderheit, die 2019 auch verfilmt wurde. 
Ill. v. Regina Kehn. 
Aus dem Niederl. v. Andrea Kluitmann. 
Carlsen 2018.  
174 S.
 

Annika Scheffel: Sommer auf Solupp 

Die perfekten Sommerpläne haben doch alle: So auch Mari, die eigentlich mit ihrer besten Freundin in einem Fußballcamp intensiv trainieren wollte. Stattdessen geht es mit ihrer Familie auf die kleine Insel Solupp. Denn Maris Mutter ist sich sicher, dass ein Familienurlaub zur Erholung für alle nötig ist, nachdem die schwere Erkrankung des Vaters überstanden ist. Der Rest der Familie ist von diesem Plan hingegen nicht begeistert. Maris älterer Bruder Kurt zieht sich, seit der Vater wieder aus dem Krankenhaus zurück ist, am liebsten in seinem Zimmer zurück. Bela will statt Kindergarten bzw. Solupp viel lieber in den Ferienpark. Nach wenigen Tagen sind aber alle von der Idylle Solupps begeistert. Genauso schnell stößt die 12-jährige Mari auf rätselhafte Dinge. Wer ist der alte Mann, der manchmal durch die Straßen zieht? Was hat es mit dem Wort Keilkliff auf sich? Und gibt es tatsächlich einen Schatz auf der Insel? Gemeinsam mit ihren neuen Bekanntschaften Ema und Joone will sie den Geheimnissen auf die Spur kommen. So wird in kürzester Zeit aus dem Aufenthalt auf der langweiligen, vereinsamten Insel doch noch ein abenteuerlicher Urlaub, und die Lektüre bringt Spannung und Unterhaltung gleichermaßen. 
Thienemann 2021. 
320 S.
 

Ashley Herring Blake: Mein neues Herz lernt, wie man l(i)ebt

Das Leben direkt am Meer, umgeben von Wasser und Strand, könnte so schön sein. Wären da nicht die bevorstehende Herztransplantation, ein Verrat durch die beste Freundin und die Mutter, die plötzlich wieder auf der Bildfläche auftaucht. Sunny fasst nach ihrer gelungenen Herzoperation im Strandsetting drei Vorsätze für ihr neues Leben: 1. Wunderbare, aufregende Dinge tun / 2. Eine neue beste Freundin finden / 3. Ihren ersten Kuss mit einem Jungen erleben.  
Während Schritt eins und zwei wie von selbst geschehen, als sie auf die blauhaarige, meeresbegeisterte Quinn trifft, die den Sommer am Meer verbringt, lässt Schritt drei auf sich warten. Stattdessen wird Sunny mit ihrer ehemals alkoholkranken Mutter konfrontiert, die jetzt eine Beziehung zu ihrer Tochter aufbauen möchte. Ein Sommertext über eine gerade noch kindliche Figur an der Schwelle zur Pubertät, in dem sich die Ereignisse überschlagen und wie nebenbei die Frage verhandelt wird, ob es okay ist, queer zu sein. Durchbrochen wird der erzählende Text immer wieder von kursiv gesetzten Gedichten, die die Autorin ihre Protagonistin verfassen lässt, um ihr Innerstes nach außen zu kehren. Diese lyrischen Passagen werden für Sunny ein individuelles Sprachrohr, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. 
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernadette Ott.  
dtv 2020. 
348 S.
 

Diese und weitere Bücher zum Thema Sommer finden sich auf der entsprechenden >>>Themenliste


Gefährliches Meer


Dorit Linke: Jenseits der blauen Grenze 

Was für andere Unbeschwertheit und Urlaubsglück, wird für Hanna und ihren besten Freund Andreas zur einzigen Chance auf Freiheit. Es ist eine Nacht im August 1989, die beiden wagen nach langen Vorbereitungen die Flucht aus der DDR über die Ostsee. Fünfzig Kilometer, die sie schwimmend überwinden müssen, trennen die beiden vom ersehnten neuen Leben in einer Demokratie. Ihre nachlassenden Kräfte spiegeln sich in einer immer fragmentarischer werdenden Sprache, in der Hanna auf ihr Leben in der Diktatur, auf Reglementierung, Dogmatismus und die Schlupflöcher im System zurückblickt, inklusive populärkultureller Verweise. Dorit Linke, selbst ehemalige Leistungssschwimmerin, unternahm für die Arbeit an diesem 2015 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierten Roman nicht nur einen Selbstversuch, sondern recherchierte auch einige historisch belegte Fälle, in denen diese Fluchtroute gewählt wurde – mit unterschiedlichem Ausgang. Die physischen wie psychischen Herausforderungen der Stunden im kalten Wasser werden ungemein fesselnd beschrieben. Erzählt wird von Angst, Selbstaufgabe und nicht mehr länger zu verdrängender Verzweiflung, denn: Alles ist aus Wasser. Die Quallen, die Wolken, alles nur Wasser. 
Magellan 2014.  
303 S. 
 

Robert Klement: 70 Meilen zum Paradies 

Siad und seine 14-jährige Tochter Shara träumen von einem besseren Leben. Ihr Sehnen gilt einem Kontinent, dem sie sich nach vielen Entbehrungen und Schicksalsschlägen nun endlich nahe fühlen, dem Schlaraffenland Europa. Aus Somalia durch die Sahara gekommen, warten sie in Tunesien auf den Schlepper, der sie nach Italien führen soll: nur noch 70 Meilen bis zum Paradies. Doch nun beginnen die Zweifel an der Standhaftigkeit ihrer Träume. Über den Mann, der den Schlepper organisiert, sagt man, er habe früher mit Waffen geschmuggelt. Heute schmuggelt er Menschen. Das ist weniger riskant und bringt mehr Geld. Die Überfahrt ist lange und fordert Menschenleben. Endlich in Italien angekommen, landen sie in einem Flüchtlingslager. Robert Klement erzählt geradeheraus, er orientiert sich an den Fakten – so kann sein Roman auch fast 20 Jahre nach seinem Erscheinen als ein wichtiger österreichischer literarischer Beitrag zum Thema Flucht gelten. Ohne seine Protagonist*innen aus den Augen zu verlieren, wird sachlich und genau recherchiert geschildert. Für Siad und Shara wird der Kampf um das ersehnte bessere Leben nie aufhören, einer neuen Hoffnung entgegen. Denn was bleibt, ist die Sehnsucht nach dem Paradies. 
Jungbrunnen 2006 
143 S. 
 

Alan Gratz: Vor uns das Meer 

Drei Jugendliche im Alter zwischen elf und 13 Jahren begeben sich in drei Jahrzehnten aus unterschiedlichen Gründen auf ihre ganz persönliche Flucht über das Meer, weg aus ihren Heimatländern Deutschland, Kuba und Syrien. Der Fokus folgt drei voneinander entkoppelten Erzählsträngen: Josef 1938 auf der Flucht vor den Nazis, Isabel 1993 vor den Zuständen in Kuba unter Fidel Castro und Mahoumad 2015 vor dem IS und dem Assad-Regime aus Aleppo. Durch individuelle, kulturell und religiös mitbedingte Charaktereigenschaften erhalten die Figuren Tiefe, wenn von sinkenden Schiffen, verwehrten Grenzübertritten, Gewalt und Tod erzählt wird. Dabei nehmen auch das Erwachsenwerden, das Gefühl von Zugehörigkeit und das Unverständnis für die jeweiligen Täter*innen einen breiten Raum ein. Erfreulich unsentimental zeigt der US-amerikanische Autor auf, dass Flucht immer schon Thema war und wahrscheinlich leider auch immer sein wird. In einem ausführlichen Nachwort werden die politischen und historischen Hintergründe für junge Leser*innen ausgeleuchtet und mithilfe von Karten die jeweiligen Fluchtrouten nachgezeichnet. Daran angeschlossen werden ganz konkrete Dinge, die man selbst tun kann, um Geflüchteten zu helfen. 
Aus d. Engl. v. Meritxell Janina Piel. 
Hanser 2020.  
304 S.
 

Diese und zahlreiche weitere Romane, Bilderbücher und Graphic Novels zum Thema Flucht finden sich in der entsprechenden >>> Fluchtliste


Phantastisches Meer


Annet Schaap: Emilia und der Junge aus dem Meer 

Ein Mädchen, genannt Lämpchen, eigentlich Emilia, muss jeden Tag für ihren Vater, den Leuchtturmwärter, das Feuer am Turm entzünden. Eines Tages sind die Streichhölzer aufgebraucht – ein Schiff zerschellt an den Klippen. Zur Strafe wird sie ins Haus des Admirals geschickt, um dort 7 Jahre zu arbeiten. Obwohl jeder weiß, dass dieser ein Monster beherbergt. Das Monster stellt sich als Bub namens Edward heraus, grüne Haare, schwarze Augen und ein Fischschwanz. Ein Meerjunge, der allerdings Nichtschwimmer ist … und der dennoch sein Wesen nicht verleugnen kann: Er hört, wie die Wellen sich an den Felsen brechen, tief unten - grün und wild und kalt -, und da packt ihn die Sehnsucht. Dieses bemerkenswerte Kinderroman-Debüt changiert zwischen märchenhaftem Erzählton und präziser Gesellschaftskritik, literarischen Anleihen an „Die kleine Meerjungfrau”, aber auch viele andere (Kinder-)Geschichten. Komplexe Handlungsfäden geben diverse Feindschaften und Allianzen preis, bis sie sich zu einem überraschenden, eigenwillig schillernden Ganzen zusammenfügen. Der spröde Erzählton entspricht kongenial der traurig fesselnden Geschichte von Hineingeworfen-Sein, Streit, Versöhnung und nicht zuletzt von selbstbestimmten Entscheidungen, neue Wege zu gehen. 
Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart.  
cbt 2019.
 
393 S. 
 

Robert Göschl: Die Geschichte vom Zyphius 

Ein Seedrache mit Flossen und Hörnern. Österreichischen Cineast*innen ist ein solches Meerwesen zumindest vom Sehen bekannt: Das Fantasiewesen Zyphius dient dem Wiener Filmmuseum als Logo. Mit all seinen schrecklichen Eigenheiten, die in diesem querformatigen Bilderbuch in gereimten, im Duktus ein wenig an die beliebte Geschichte vom „Grüffelo" erinnernden Versen aufgezählt werden, muss es sich jedenfalls um einen nahen Verwandten des berüchtigten Leviathans handeln. In den immer drastischer werdenden und doch irgendwie vagen Beschreibungen (Seine Hautfarbe ist Rot, oder Gelb, oder Blau ... vielleicht auch Grün.) wird das Wesen von Legenden deutlich. Der Text folgt dabei dem Verlauf der knallbunten Bilder: Manchmal schneckenförmig eingerollt, dann wieder an der langen Zunge des furchtbaren Meereswesens ausgerichtet. Während letzten Endes aufgedeckt wird, dass es sich bei dem vermeintlichen Ungeheuer um ein harmloses Meeressäugetier (Ziphius cavirostris, der Cuvier-Schnabelwal) handelt, stecken die Bilder, vor allem aber die Buchgestaltung, die ein Poster und Sticker beinhaltet, voller witziger Anspielungen. Mit dem bedeutungsschwangeren Eröffnungsstatement eines kleinen Fischers We’re gonna need a bigger boat kommen auch die Cineast*innen auf ihre Kosten. 
Luftschacht Verlag 2011.  
60 S.
 

Jonathan Stroud: Scarlett & Browne. Die Outlaws  

Das Meer und ein zerklüftetes London sollte für Scarlett und Albert der letzte Rettungsort sein, doch es sollte alles anders kommen. Im ersten Teil der „Scarlett & Brown”-Reihe lernen wir zunächst Scarlett McChain kennen: selbstbestimmt, eigenständig, tough und Bankräuberin. Wenn man regelmäßig Banken ausraubt und mitunter die falschen Menschen tötet, ist man es gewohnt, auf der Flucht zu sein. Der etwas tollpatschige Albert, der mit der Fähigkeit des Gedankenlesens ausgestattet ist, jedoch weniger. Die beiden treffen aufeinander und für Scarlett ist klar: Ohne sie wird Albert sterben, auch wenn er theoretisch die Macht hat, Dinge mit reiner Gedankenkraft in die Luft zu sprengen. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg durch ein (zeitlich nicht näher definiertes) dystopisches Großbritannien, zu den Lagunen vor London, wo man ohne Furcht mit Besonderheiten wie Albert sie hat leben kann. Doch so einfach ist das nicht. In einem Mix aus Krimi, Western und Dystopie kreiert Stroud eine Welt voller Gefahren und zu meisternder Herausforderungen. Dabei erzählt er spannungsgeladen, wie allen Widrigkeiten zum trotz das Meer erreicht werden kann; nur um zu erkennen, dass dort nicht die heile Welt auf Albert wartet. 
Aus d.Engl. v. Katharina Orgaß und Gerald Jung. 
cbj 2021. 
425 S.
 

Meeresbewohner*innen


Axel Scheffler und Julia Donaldson: Flunkerfisch

Nicht nur an Land, sondern auch auf dem Meeresgrund muss die Schulbank gedrückt werden. Und so muss auch der schwimmende Nachwuchs wohl oder übel die Schule besuchen; während Peter Petersfisch, Bertram Barsch und die anderen Schulkolleg*innen pünktlich um neun Uhr auf ihren Plätzen schwimmen und gebannt auf die Worte des Lehrfisches warten, kommt Flori Flunkerfisch regelmäßig zu spät und tischt die abenteuerlichsten Geschichten auf, die seine Verspätung erklären sollen. Nixen oder Riesenkraken kommen darin ebenso vor wie eine vergessene Schatztruhe, in der er gefangen war und daher zu spät kommt. Doch dann geht er eines Tages Fischern ins Netz und erlebt tatsächlich etwas Abenteuerliches. In gewohnt gereimter Form wird hier von Geschichten, die ein Eigenleben entwickeln, erzählt, während Meeresbewohner*innen in all ihren Farben und Formen mit den für Axel Scheffler typischen Kulleraugen über die Doppelseiten des Bilderbuches schwimmen. Die Illustrationen nehmen dabei unterschiedlich viel Raum ein, füllen ganze Seiten oder werden panelartig neben- und übereinandergestellt, dazu einladend, den Grund des Meeres genauer zu betrachten und zugleich den Ursprung von Floris Geschichten zu erkunden. 
Aus d. Engl. v. Martin Auer.  
Beltz&Gelberg 2007.  
32 S.

Benjamin Flouw: Fuchs auf Mission in der Tiefsee 

Taucheranzug, Sauerstoffflasche und vor allem der Fotoapparat: Der pflanzenbegeisterte Fuchs ist bestens für eine Expedition in die Tiefsee ausgerüstet. Denn schließlich hat ihm bei einem Küstenspaziergang mit seinem Cousin Wolf eine Möwe von einer mystischen Meerespflanze namens „Glimmeranemone“ erzählt … Immer weiter führt ihn seine Expedition in die Tiefe, und was er dort alles entdeckt, ist gleichermaßen ein höchst ästhetisches Vergnügen in intensiven Farbtönen wie ein profunder Einblick in die Meeresbiologie: Von den Napfschnecken am Ufer über verschiedene Arten von Seetang bis hin zu den Korallen ganz weit unten. Die geheimnisvolle Anemone aber findet er trotz aller Anstrengungen nicht, und schließlich verliert er auch noch seine Unterwasserkamera. Doch wie es der Zufall will, trifft er auf einen Pottwal, den er aus einem Fischernetz befreit, in dem sich auch seine Kamera verheddert hat. Und was entdeckt Fuchs auf dem Bildschirm? Ein Foto von der schönsten Anemone, die er je gesehen hat. Und bei deren Anblick er von nun an an die fabelhafte Schönheit der Unterwasserwelt denken wird. Zur Auseinandersetzung mit der dann am Ende noch ein paar praktische Ideen geliefert werden, von der Müllsammel-Aktion bis zum Muschel-Mobile. 
Aus dem Französ. v. Aggi Becker. 
Kleine Gestalten 2020
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o. S.  



Nadia Budde: Krake beim Schneider 

Das riesige Seeungeheuer, das mit seinen oktopus-artigen Fangarmen ganze Schiffe auf den Meeresgrund ziehen kann, haben viele vermutlich als Jack Sparrows schicksalhaftes (vorübergehendes) Ende in Erinnerung und als Handlanger von dessen Antagonisten Davy Jones. Von der menschenfressenden Unheimlichkeit des Kraken aus „Fluch der Karibik” bleibt jedoch nicht viel übrig, wenn Nadia Budde eine zufrieden dreinblickende Krake (auf der linken Bilderbuchseite) zum Schneider schickt und ihr dort (auf der rechten Seite) zwei lange Kleider über die elegant wabernden Tentakeln zieht. 24 solcher doppelseitigen Kürzestgeschichten hat die deutsche Bilderbuchkünstlerin verfasst. Darin stehen einander jeweils zwei (farbenfrohe, auf das Wesentliche reduzierte) Bilder und zwei (prägnante, sich reimende) Textzeilen gegenüber und verdichten sich zu pointierten Witzen, die Lust auf Sprache, Reimen, Kreativität und das Lesen selbst machen. Etwa dann, wenn ein Löwe (links) durch einen brennenden Reifen springt und die Mähne dabei Feuer fängt: Kleines Malheur / Löwe beim Frisör. Rechts davon werden dem nicht mehr ganz so royalen König der Manege unterschiedliche – nicht wirklich für Freude sorgende – Toupets angepasst ...    
Peter Hammer 2019.  
48 S. 
 

Megumi Iwasa und Jörg Mühle: Viele Grüße vom Kap der Wale 

Nach Giraffe und Pinguin, die sich in „Viele Grüße, deine Giraffe” kennenlernten, ist es nun der alte Walprofessor Wal-demar, der nach seiner Pensionierung im Kap der Wale seine Runden dreht und über die Vergangenheit sinniert, in der so viel Leben rund um ihn war. Kurzerhand beschließt er, so wie Giraffe einen Brief mithilfe von Postbote Pelikan und Botin Robbe (die immer noch erfolgreich Briefe zwischen den Kontinenten und Klimazonen überbringen) in die Welt zu schicken, der bei einem ehemaligen Schüler aus seiner aktiven Lehrerzeit landet. Gemeinsam erinnert man sich auf dem Postweg an Olympische Spiele, die unbedingt wieder veranstaltet werden müssen. Aus Nah und Fern reisen Pinguine, Walfreund*innen und eine Giraffe an, um im Wettschwimmen, Wettrennen und Fontänen-Blasen ihr Können unter Beweis zu stellen. Humor- und liebevoll in Text und Bild wird so ein weiteres Mal von Freundschaft und Neugierde erzählt. Mittlerweile liegen mehrere Bände der Reihe vor, in denen ozeanische Protagonist*innen wie der schüchterne Hai an unterschiedlichen Orten, wie in der Moshu-Moshi-Bucht die Hauptrolle übernehmen. Ebenso bestechend wie im ersten Teil.   
Aus d. Japan. v. Ursula Gräfe. 
Moritz 2018. 
105 S.



Peter Van den Ende: Treiben lassen

„Zwerveling“ lautet der Originaltitel dieses ganz in feinem Schwarz-Weiß-Strich gehaltenen Bilderbuches im Flandrischen, das heißt wörtlich übersetzt „Landstreicherei.“ Doch gibt es auch das Wort „Meerstreicherei?“ Es müsste erst eingeführt werden – und ist wohl auch ein Ausdruck, der diese außergewöhnlich illustrierte, völlig textlose fantastische Erzählung prägnant beschreiben könnte. Im Mittelpunkt steht das „Treiben lassen“, das Reisen durch, unter und über atemberaubende Seelandschaften, die den namenlosen Protagonisten wortlos ins Ungewisse führen. Gereist wird nicht mit Dampfer oder U-Boot, sondern an Bord eines zart gefalteten Papierboots. Die detailreichen, fein ziselierten Schwarz-Weiß- Grau-Illustrationen, die in ihrer Kleinteiligkeit an durch Tiefdruckverfahren hergestellte Kunstwerke erinnern, realisieren eine sehr spezifische Phantastik-Klimax, die man sich immer und immer wieder, und vor allem sehr genau ansehen muss, um auch ja keinen symbolischen Hinweis in dieser fantasievollen „Zeevaarteling“ zu übersehen. Es braucht hier kein Blau, um die Eigenheiten des Meeres ins Bild zu transportieren, dafür sorgen gewaltige Wellen, furchterregende Wasserwesen und nicht zuletzt das unscheinbare Papierboot, dem wir von der ersten bis zur letzten Seite folgen.  
Aladin 2020  
96 S.

Patrick Ness: Und der Ozean war unser Himmel

Nennt mich Bathsheba – bereits mit dem ersten Satz dieses eindrucksvoll illustrierten Romans wird ein literarisches Vorbild zitiert: Herman Melvilles „Moby Dick“. Hier machen aber nicht die Menschen Jagd auf die Meeressäuger, sondern Ness kehrt die Geschichte um. Walkuh Bathsheba, aufgewachsen in einem Umfeld, das von jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen Walen und Menschen geprägt ist, erzählt von ihrer Zeit als Lehrling auf dem Schiff der berüchtigten Captain Alexandra, deren Echoortung durch die Harpune des mythisch verklärten, mutmaßlich aber menschlichen Toby Wick zerstört wurde. Dort lernt sie, wie man Menschen jagt, Schiffe zum Kentern bringt und im besten Fall über die Zweibeiner siegt. In ihrer Welt ist der Mythos rund um den blutrünstigen Seefahrer Toby Wick – der von Mensch und Wal gleichermaßen als der Teufel bezeichnet wird – omnipräsent, und als sich Hinweise auf seinen Aufenthaltsort finden, beginnt eine unheilvolle Reise ins Ungewisse, der ein eindrücklicher Appell gegen die zersetzenden Kräfte des Hasses und der Gefahr aus dem Ruder gelaufener Geschichten eingeschrieben ist. Hinzu kommen faszinierende Illustrationen, die in Blau-Schwarz und Blutrot die Geschichte weiter- und auserzählen.  
Ill. v. Rovina Cai. 
Aus d. Amerikan. v. Bettina Abarbanell.  
cbj 2021. 
158 S.


Abenteuer auf dem Meer


Frida Nilsson: Siri und die Eismeerpiraten

Meist werden mit Meer die Südsee oder zumindest die Adria assoziiert, Sandstrände und Unbeschwertheit. Doch schließlich gibt es auch die Polarmeere – in der Realität, ganz besonders aber auch in der phantastischen Literatur. So unwirtlich die Lebensbedingungen auf ihnen, so furchterregend jene, die über sie herrschen: Wie der Piratenkapitän Weißhaupt, dem sich niemand entgegenzustellen wagt. Niemand, außer Siri; denn als ihre kleine Schwester entführt wird und zu befürchten ist, dass auch sie in seiner Diamantenmine schuften muss, macht sie sich auf die Suche und heuert kurzerhand auf einem Piratenschiff an. Unerschrocken durchstreift die 10-jährige Ich-Erzählerin symbolisch aufgeladene Landschaften, um letztlich selbst in der sagenumwobenen Mine zu landen, die eigentlich gar keine Diamantenmine ist … Durch die retrospektive Erzählhaltung ist der glückliche Ausgang der Geschichte garantiert, doch das macht die Bedrohlichkeit von Gefahren, schaurigen Erlebnissen und Begegnungen mit ungewöhnlichen Figuren wie dem Kleinen, einem Baby, das statt einem Unterleib eine Schwanzflosse hat, nicht weniger drastisch. Atempause bei so viel phantastischem Abenteuer bieten Flüche wie dieser: So hässlich, wie du bist, würde das Meer dich sowieso gleich wieder ausspucken
Aus dem Schwed. von Friederike Buchinger.  
Mit Bildern von Torben Kuhlmann. 
Gerstenberg 2017.
370 S.

Ute Krause: Theo und das Geheimnis des schwarzen Raben

Probleme mit dem Stiefvater, ein schrecklicher Sommer im Feriencamp – wer würde sich da nicht wünschen, in ein fliegendes Schiff zu steigen und all den Problemen davon zu segeln? In Ute Krauses charmanter Erzählung bekommt Theo tatsächlich von einem fliegenden Piratenschiff Besuch und findet sich inmitten einer höchst seltsamen Besatzung wieder, die aus einem sprechenden Raben, einem äußerst vergesslichen Koch und einer ehemaligen Palastkatze besteht. Zunächst in der Luft, später auf See macht sich die kuriose Mannschaft auf die Reise, die in vielerlei Hinsicht an eine Odyssee erinnert. Doch neben den Tücken der offenen See, verwunschenen Inseln oder Meeresriesen sieht sich der Protagonist auch mit seinen Ängsten konfrontiert, die es zu überwinden gilt. Die humorvoll gezeichneten (Tier-)Charaktere unterstützen ihn mal recht, mal schlecht dabei, obwohl der Rabe Alchibar bald schon ein enger Vertrauter wird. Eine Piratengeschichte, die nicht nur von einem Buben erzählt, der sich nach seinem Vater sehnt, sondern auch vom Zauber einer ungewöhnlichen Freundschaft. Eine phantastische Reise und ein spannender Plot illustrieren wunderbar, wie es gelingen kann, über sich selbst hinauszuwachsen. 
cbj 2018. 
209 S.
 

Davide Morosinotto: Shi Yu: Die Unbezwingbare

Störtebeker, Francis Drake oder Jack Sparrow - berühmte Piraten, ob real oder fiktional, sind meistens Männer. Und doch gab es auch Piratinnen – historisch belegt ist etwa Zheng Yisao, eine ehemalige Prostituierte, die Anfang des 19. Jahrhunderts im südchinesischen Meer unterwegs war (und dieses gefährliche Dasein auch tatsächlich überlebt hat). Angelehnt an ihre Lebensgeschichte, unterfüttert mit viel historisch genau recherchiertem Lokalkolorit aber auch einer Prise Magie erzählt der italienische Autor Davide Morosinotto auf über 500 Seiten die Geschichte einer Frau, die nach dem Tod ihres Mannes dessen Flotte übernahm und so erfolgreich war, dass der chinesischen Regierung nichts anderes übrig blieb, als sie als Verhandlungspartnerin ernstzunehmen. Morosinotto begleitet seine mutige, kluge, unkonventionelle Heldin von früher Kindheit an und füllt dabei nicht nur biografische Lücken, sondern webt magische Kampfstile, Verschwörungen und atmosphärisch dichte Orts- und Seeschilderungen ein. Komplettiert wird das Schmökervergnügen durch die wunderbare Buchgestaltung, die durch eine Coverillustration von Rébecca Dautremer und eine an ein Logbuch erinnerndes Design der Seiten besticht.  
Aus dem Italien. v. Cornelia Panzacchi. 
Thienemann 2022 
506 S.