Eva Rottmann: Kurz vor dem Rand.
Jacoby&Stuart 2023.

Eva Rottmann: Kurz vor dem Rand

Skateboarden. Eine Subkultur, einst sehr negativ behaftet, ist aus einem Stadtbild kaum wegzudenken: Ob als über Hindernisse fliegende Bretter oder das typische Geräusch, das erklingt, wenn Wheels über Asphalt und Pflastersteine rattern. Das Geräusch, das auch das Herz von Ari schneller schlagen lässt. Mit der Namensgebenden Prinzessin Arielle, die ihre lange Zeit von der Bildfläche verschwunden Mutter liebte, hat sie hingegen nicht viel gemein. Nicht nur, dass sie nicht versteht, wie frau für einen Prinzen ihre Stimme aufgeben kann, ganz grundsätzlich hat sie mit den patriarchalen Strukturen des Films – und der Gesellschaft – Nichts am Hut. Stattdessen wird sie von Rottmann, die selbst leidenschaftlich ihre Füße aufs Deck stellt, als eine Figur gezeichnet, die an vielen Genderstereotypen vorbeischrammt, diese im Text kritisch aufgreift und dekonstruiert. Ganz der Atmosphäre des Skateparks – auch auf der sprachlichen Ebene – gleichermaßen wie einer jugendlichen Lebensrealität verhaftet nimmt auch das Verliebt-sein einen zentralen Stellenwert ein; gelingt aber erfreulicherweise abseits von Kitsch. Vielmehr reflektiert Ari in 14 Tagen, entlang derer der Roman retrospektiv erzählt wird, wie es dazu kommen konnte, dass sie sich überhaupt in Tom verliebt, der meint: Man braucht einen gewissen Basishass, um zu skaten. Er ist rücksichtslos, neu in der Stadt, hat Ecken, Kanten und irgendetwas Geheimnisvolles, das sich erst am Ende offenlegt. Diese besondere Tagebuchform ermöglicht eine Innenperspektive, die im zynischen Ton keinen Hehl daraus macht, dass es Ari gleichgültig ist, was ihr Umfeld von ihr hält. Zumindest dachte sie das. Zunehmend beginnt sie damit zu hadern, dass ihre Skaterkumpels sie nicht als Mädchen, als potentielle Freundin oder attraktiv sehen. Umstände, die sie selbst mit Gerüchten und queeren Ausprobieren genährt hat. Als Tochter, Freundin, Verliebte und Skaterin sieht sie sich Ari dieserart mit Fragen der Selbstidentität konfrontiert, die durch das hilflose Gefühl des Verliebt-seins noch intensiviert werden. Zwischen all dem finden familiäre Dynamiken, gesellschaftspolitische Themen wie die Schere zwischen arm und reich sowie psychische Krankheiten ihren Raum und charakterisieren Aris heterogenes Umfeld. Die romantische Liebesgeschichte wird dabei nicht auserzählt, vielmehr gelingt es Rottmann durch gemeinsame Mutproben und stille Momente zwischen den Zeilen abseits des Skateparklärms, die (Nicht-)Beziehung der beiden einzuweben, in der sich auch Ari ein Stück weit selbst besser kennenlernt.


Alexandra Hofer



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