Michael Hammerschmid: Was keiner kapiert.
Ill. v. Barbara Hoffmann.
Jungbrunnen 2024.
112 S.

Lyrische Selbsterkundungen

Die Dimensionen des eigenen Ichs ausloten. Eine eigene Sprache finden. Die Merkmale der Lyrik und die Entwicklungsaufgaben der Jugend haben eigentlich einiges gemeinsam – dennoch ist Lyrik, die explizit an Jugendliche adressiert ist, überraschend selten zu finden. In Österreich setzte Elisabeth Steinkellner 2016 mit ihrem bemerkenswerten Band „die nacht, der falter und ich“ einen wichtigen Akzent und kombinierte dabei lyrische und Prosatexte. Danach kam lange nichts – bis zu diesem Buch. Schon die Buchgestaltung fällt auf: Ein Taschenbuch mit Klappenbroschur, Vor- und Nachsatzpapier in knalligem Neon-Orange. Ansonsten gibt es nur einen Farbakzent, sowohl in der Schrift als auch in den Illustrationen von Barbara Hoffmann: ein dunkles Blau, das der sprachlichen Intensität der Gedichte wunderbar entspricht. Sehr variantenreich ist hingegen die Typographie: So steht ein in blauer Schrift auf weißen Grund konventionell gesetzter Text neben einem handschriftlich anmutenden, der aber in weißer Schrift auf blauem Grund zu lesen ist. Auch sprachlich zeigt Michael Hammerschmid, der 2018 mit dem Josef-Guggenmos-Preis für Kinderlyrik ausgezeichnet wurde, was alles möglich ist im Gedicht: Gereimt und nicht gereimt, durch Zeilenumbrüche akzentuiert, in ganzen Sätzen oder aneinandergereihten Worten, in wenigen Zeilen oder über eine ganze Doppelseite. Thematisch werden nicht nur naheliegende Fragen wie Liebe und Sexualität behandelt, sondern auch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten oder der Umgang mit Nachrichten über den Krieg. Wobei nicht der Eindruck entstehen soll, es handle sich hier um „Themengedichte“, die Texte bestechen vielmehr durch ihre Offenheit sowohl in der Form als auch im Inhalt. Die Frage „Worum geht es hier“ oder gar das leidige „Was wollte uns der Autor damit sagen?“ ist hier in den seltensten Fällen eindeutig zu beantworten – diese Mehrdeutigkeit macht es umso reizvoller, sich mit ihnen immer wieder und immer neu auseinanderzusetzen. Auch die eindrucksvollen Illustrationen entziehen sich einer eindeutigen Lesbarkeit, manchmal gegenständlich, dann wieder ganz abstrakt oder ornamental geben sie lediglich Andeutungen. Michael Hammerschmid ist ein Könner der sprachlichen Gestaltung und zeigt, wie poetisch Sprache sein kann – schreckt aber auch vor (jugendlicher) Derbheit nicht zurück. Eines der 80 Gedichte trägt den treffenden Titel „beschissen“ und was wortgewandt mit „elegie vom geld“ überschrieben ist, endet drastisch mit: „heast scheiß nochamal heast oasch“.

Kathrin Wexberg

 

 

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