Thienemann 2023.
320 S.

Ottfried Preußler / Mehrdad Zaeri: Krabat

1971 wurde Otfried Preußlers Geschichte vom sorbischen Waisenjungen Krabat, der die geheimnisumwitterte Mühle im Koselbruch aufsucht, um die Schwarzen Künste zu lernen, zum ersten Mal herausgegeben. Wie oft mag sie seitdem wohl gespannt unter Bettdecken gelesen worden sein, wie oft frustriert abgebrochen? Wie oft freudig wiedergelesen? Wie oft ist sie vielleicht gleichgültig in den Tiefen von Spinden und Bankfächern verschwunden? „Krabat“ ist seit Jahrzehnten ein jugendliterarischer Klassiker, Schullektüre und Ausnahmetext der deutschsprachigen Fantastik für junge Leser*innen.

Und dabei ist es gewiss nicht nur der eigenwillige Text, sondern auch eine bestimmte Bildwelt, die für viele Rezipient*innen eng mit ihrer Lektüre des Romans verbunden ist: Die Illustrationen des im Jahr 2000 verstorbenen Künstlers Herbert Holzing, mit ihren gedeckten Farben und effektiv herausgearbeiteten Kanten, schreiben seit immerhin gut fünf Jahrzehnten die Geschichte des ambitionierten Müllerburschen mit. Nun aber – zum hundertsten Geburtstag Otfried Preußlers – veröffentlicht der Thienemann-Verlag eine eindrucksvolle, neu bebilderte Jubiläumsausgabe. Die darin enthaltenen Bilder des im Iran geborenen Mannheimer Künstlers Mehrdad Zaeri locken mit unerwarteten Akzentuierungen, neuen Perspektiven sowie einer nie restlos auserzählten Melancholie zur Re- oder Erstlektüre; und laden ein, sich „Krabat“ noch einmal unter veränderten Vorzeichen anzuschauen.

Die Mühle! Nun mahlt sie wieder!

So wie nach Krabats Ankunft im Koselbruch die Mühle schnaubend ihre Arbeit aufnimmt, wird der Text durch die veränderte Buchgestaltung mit neuen Impulsen belebt. Anders als in den vielgelesenen und selbstverständlich weit pragmatischer gedachten Schulausgaben entfaltet hier eine viel durchlässigere Buchgestaltung ihre Wirkung: Die luftige Schriftsetzung und der großzügige Weißraum rund um den Satzspiegel lassen dem ohnehin stark atmosphärischen Text Raum, mit den in Schwarz-Weiß gehaltenen Illustrationen zu einer offeneren Ästhetik zu finden. Die konsequente Zweifarbigkeit, die sich (bis auf eine Akzentuierung in Gelb am Cover) durch die gesamte Ausgabe zieht, verweist auf die Kontraste und Gegensätze, die von Vornherein den Text strukturieren. Im schroffen Gefälle zwischen Macht und Ohnmacht, Schwarzer Magie und Erlösung, Gewalt und Liebe, letztlich Tod und Leben erzählt „Krabat“ immerhin von existenziellen Erfahrungen im mehrfachen Sinne.

Erschaffen hat Mehrdad Zaeri seine kontrastreichen Bildwelten digital – was den Entwurf dieser so besonderen Oberflächenstruktur vermutlich erst möglich gemacht hat. Unterschiedliche Pinseltools suggerieren, oft innerhalb derselben Illustration, den Einsatz verschiedener Medien und Techniken. So können sich grobe Schraffuren, an ihren Außenrändern sich weich verlaufende Flächen und kräftige, grell sich abhebende Strichführungen in einem stimmigen Miteinander überlagern oder je nach Inszenierung isoliert wirken. In jedem Fall nutzt der Künstler seine Möglichkeiten, um etwa effektvoll die Tiefenschärfe zu variieren oder entrückte Traumgefüge zu entwerfen, ohne seine Welt dabei gegenständlich auserzählen zu müssen. Unheimlich und unwirtlich wird diese gleich zu Beginn dargestellt, aber eben auch durchzogen von einer tragisch-tröstlichen Schönheit, die sich erst in diesem spezifischen Zusammenspiel von Licht und Schatten ergibt.

Gedenke, dass ich der Meister bin.

Die Illustrationen lassen außerdem verstärkt auf die im Roman oft so schmerzhaft durchschlagenden Machtverhältnisse schauen. Mehrdad Zaeri nutzt Perspektiven (wie die von oben auf den schlafenden Krabat blickenden Raben), Größenverhältnisse (der überlebensgroße Meister gegenüber dem geduckten, verwandelten Müllerburschen auf seiner Stange) oder Tiefenschärfe (die auch in ihrer leuchtenden Farbigkeit sich absetzende Kantorka vor dem verschwimmenden Hintergrund des Dorfes), um reale oder ideelle Bezüge der Figuren zueinander bildhaft umzusetzen. Das Ausgeliefertsein des zu vertrauensseligen Müllerburschen dem Meister gegenüber wird so ebenso verstärkt wie die erlösende Kraft, die die Kantorka durch ihre Liebe zu Krabat entwickelt; geradezu wie aus einem Lichtkegel tretend lässt der Künstler sie etwa am Ende zum Koselbruch eilen, um Krabat aus seinem Vertrag mit dem Meister auszulösen. Halb im Licht und halb im Schatten liegt das Gesicht des Protagonisten hingegen noch, als sie ihm in der Osternacht den Drudenfuß von der Stirn wischt.

Mehrdad Zaeris gut 80 Bilder – von der Vignette zu Kapitelbeginn bis zur doppelseitigen Illustration – entwickeln zusammen mit Otfried Preußlers Text eine immersive Kraft, die „Krabat“ tatsächlich noch einmal zu einem ganz eigenen künstlerischen Herzschlag verhilft. Wie im Blick durch ein teils verwaschenes Okular tut sich mit dem Aufschlagen des Buches eine illustratorisch höchst expressive und planvolle Welt auf, deren Polarität und Tiefengestaltung dem jugendliterarischen Text auch seine schrecklichen und abgründigen Seiten zugestehen. Eine gleichzeitig beeindruckend schöne und erstaunliche Welt, die vor allem eines schafft: zu erzählen, ohne auszuerzählen.

Sarah Auer

Mehrdad Zaeri: Kalender

Neben dieser höchst gelungenen illustratorischen Neu-Inszenierung ist heuer mit dem Kalender ein weiteres Kunstwerk aus der Feder von Mehrdad Zaeri erschienen, in bewährter Weise beim Berliner Verlag Edition Orient (und dort auch unkompliziert über die >>> Homepage bestellbar.
Als Titelblatt vorangestellt ist mit einem eindrücklichen Bild eines jungen Mädchens auf einem sich aufbäumenden Pferd und dem Slogan „Woman, Life, Freedom“ ein aktuelles politisches Thema, das dem im iranischen Isfahan geborenen Künstler besonders am Herzen liegt.

Die 12 großformatigen Kalenderblätter entführen mit ganz unterschiedlichen Stilen, Sujets und Farbschattierungen in bedrückend schöne Bildwelten: Eine Figur versucht in einen Käfig gesperrte Vögel zu befreien, der darunter gesetzte Satz „Let them out“ verweist wiederum auf konkrete welthistorische Ereignisse, während ein im Stil von Alice im Wunderland gekleidetes Mädchen eine sehr spezielle Form des Schwebens (oder der Entrücktheit?) erreicht hat.

Einige der Bilder entstanden für diesen Kalender, einige andere schüren die Vorfreude auf ein Buch, das im März 2024 bei Insel erscheinen wird: „Das Traumbuch“, herausgegeben von Marie Bernhard und bebildert von Mehrdad Zaeri, eine Anthologie, die literarische Auseinandersetzungen mit dem Traum versammelt.
Eidtion Orient 2023.

Kathrin Wexberg

 

Das Kröte-des-Monats-Logo können Sie hier für Werbezwecke in unterschiedlichen Formaten downloaden.
>>> jpg
>>> png
>>> gif

 


>>> hier geht es zu den Kröten 2023.

Die gesammelten Kröten der letzten Monate und Jahre finden Sie im >>> Krötenarchiv