Aus d. Engl. v. Martin Baltscheit.
dtv 2022.
48 S.

Andi hatte eine. Ihr Name: Die Omama im Apfelbaum.
Anna hatte einen. Sein Name: Der Zwerg im Kopf.
Die Rede ist von phantastischen Freund*innen. Von Fantasiegefährt*innen. Rosi Merl, langjährige freie Mitarbeiterin der STUBE, sieht in ihnen eine aktiv gesetzte Handlung des Kindes, in der Spiel- und Fantasiefähigkeit zum Ausdruck kommt. Dahinter liegt die literarische Möglichkeit, kindliche Wirklichkeit aus der Perspektive des Kindes sichtbar zu machen.
Zu einer Konstante der von Rosi Merl in ihrer 2014 veröffentlichten Diplomarbeit „Der imaginäre Gefährte als kinderliterarisches Motiv“ analytisch in den Blick genommenen Werke wird eine „bindende und exklusive Beziehung zwischen dem fantasierenden Kind und dem imaginären Freund als Beziehung des Kindes zu sich selbst“ (Merl 2014, 218). 

Rosi Merl kannte Fred und Frieda noch nicht. Sie würde die beiden lieben!
Weil Fred und Frieda außergewöhnliche, und dabei außergewöhnlich reizende kinderliterarische Figuren sind. Und weil sie das Motiv der phantastischen Freund*innen neu erzählen.

Eoin Colfer und Oliver Jeffers lassen ihre Geschichte mehrmals einsetzen; oder besser: sie setzten Variationen des Motivs und damit Wendungen dramaturgisch clever ein. Dieserart beginnt die Geschichte lange vor einer singulären Freundschaft zwischen dem einen Kind und dem einen phantastischen Freund / der einen phantastischen Freundin und SPOILER ALERT erzählt weit darüber hinaus. Der irische Autor und der aus Nordirland stammende, heute in Brooklyn lebende Illustrator setzen an den Beginn eine kleine Geschichte der Emotionen, die eine phantastische Freundschaft überhaupt erst ermöglicht: Vom Kopfweh ist da die Rede und von Einsamkeit (Alleine sein ist kein Spaß.). Die Rede ist aber auch von günstigen Umständen und der Magie des Augenblicks.

Szenewechsel.

Auftritt Fred.
Er kommt nicht vom Jupiter, sondern schwebt wie eine Feder im Wind, hoch über den Wolken. Oliver Jeffers kreiert ihn als durchscheinendes Pointilismus-Figürchen mit Charlie Brown-Locke und setzt ihn als Farbelement in den Weißraum, in dem mit Federstift konturierte Figuren freigestellt agieren. Requisiten werden dafür zurückhalten genutzt, Räume (wenn überhaupt) nur angedeutet.
In diesem Erzählraum kommt Fred in seiner unsichtbar-türkisen Präsenz erst zur Wirkung. (Zugegeben: das Wort Türkis kommt einem nur sandig über die Lippen im XII. Wiener Gemeindebezirk ...) Und Fred macht Vieles vergessen, wenn er erst gerufen wird und angekommen ist. Jeffers präsentiert eine Galerie kleiner Szenen, in denen sich der wahre Wert des phantastischen Freundes zeigt: Fred gibt alles. Er ver- und entkleidet sich, er spielt Ball und wird Ball. Er tut, was zu tun ist, ohne zu klagen.
Sehnsüchtig blickt man dabei als Betrachterin auf den nicht eben enthusiasmierten, aber dennoch pflichtbewussten Fred, der mit dem Staubsauger hantiert, während sein Menschlein sich am Telefon entspannt.  Sprich: Fred ist aufsehenerregend wandelbar – und bleibt dabei doch immer er selbst, von Oliver Jeffers nur in seiner Körperhaltung variiert und mit wenigen Strichen comichaft in seinem Tun verortet.
Doch auch in Freds durchscheinender Brust schlägt ein sehnsuchtsvolles Herz. Denn: Obwohl Fred der allerbeste aller unsichtbaren Freunde ist, passiert es immer wieder: Der einsame Freund findet einen echten Freund! Und Fred löst sich auf, tritt den Rückweg in die Wolkenwelt an. Wie herrlich aber wäre es, auch als unsichtbarer Freund einen echten Freund zu haben?
Es folgt eine erste dramaturgische Wendung, ein Neu-Ansetzen der Geschichte, eine Variation des Bekannten: Eoin Colfer erzählt auch weiterhin nicht aus der Perspektive des Kindes, sondern aus jener des phantastischen Freundes. Zum prägenden Moment der Freundschaft werden also weder die kindliche Widerstandskraft, noch der kindliche (Um-)Weg in die eigene Realität; zum bestimmenden Moment wird das Glück des phantastischen Freundes, in Sam endlich einen Gleichgesinnten gefunden zu haben: Einen, mit dem man Bücher lesen und sich über sie ärgern kann; einen, mit dem man auf Forschungsreise in beliebten Nassräumen (vulgo Klo) gehen kann; einen, mit dem man Theaterspielen, japanische Masken basteln und das eigene Leben in einem Comic nachzeichnen kann; einen, mit dem man Musik machen kann. Das dramatische Duo wird gegründet und siehe da: Es handelt sich nicht um eine Post-Punk-Band.

Letztlich aber kommt es, wie es kommen musste. Sam lernt jemanden kennen. Über mehrere Seiten hinweg nehmen Eoin Colfer und Oliver Jeffers sich die Zeit, den schmerzvollen Dialog mit jedem Umblättern neu zu akzentuieren – bis hin zu Notfallsitzung des dramatischen Duos. Denn Fred spürt, dass er Sam verlieren wird. Denn Sam hat Sammi getroffen. Fred ist kaum noch sichtbar, als Sam ihm die neue Freundin vorstellt, die auch noch einen Cello-Kasten hinter sich herzieht. Aber dann, aber dann …
Setzt die Bilderbuchgeschichte nochmals neu an: Denn Sammi überrascht Fred nicht nur mit einem Handschlag (sprich: Sie kann ihn sehen!), sondern bringt auch Frieda mit. Sie ist das gelbe, weibliche Pendant zu Fred und steht ob der neuen Situation durchsichtig und doch sichtbar angepampt neben ihrem Geigenkasten. Doch auch ihre Verlustangst ist rasch überwunden – fraglich bleibt nur, wie das neue Quartett heißen soll, das an die Stelle des Dramatischen Duos tritt.
Das Miteinander führt erstmals zu einem Doppelseitenszenario. Zu einem, wie es charmanter nicht sein könnte: Das Querulanten Quartett tritt bei der Weihnachtsfeier der Schule auf und erst auf den zweiten Blick sieht man zwei Lehrer*innen an der Seite flüstern: Warum sind sie nur zu zweit?

Als Betrachter*in hat man längst vergessen, dass zwei der vier Freund*innen unsichtbar sind. Diese zwei aber, geben einander Halt in der Welt der magischen Unwägbarkeiten. Als sich das Lebenskarussell weiterdreht und Sam und Sammi sich auf ihre Laufbahn als Comiczeichner*innen zu konzentrieren beginnen, haben Fred und Frieda – gemeinsam – dennoch weiterhin festen Boden unter den Füßen.
Ein letztes Mal variieren Eoin Colfer und Oliver Jeffers das Motiv der phantastischen Freund*innen. Fred und Frieda bleiben sozusagen im Apfelbaum sitzen. Ist es, so fragt man sich mit Blick auf die finale Doppelseite, Rosi Merl, die hier die Wissenschaftlerin gibt? Denn es gilt eine neue Regel zu erforschen: Sichtbare oder unsichtbar: Eine Freundschaft bleibt eine Freundschaft!

Heidi Lexe

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