Kröte des Monats März 2018
kunstanst!fter 2018. € 24,70.
Kaugummi verklebt den Magen*
*Ein nicht ganz so wahres Buch von Christina Röckl
Aus dem „Dada Manifesto“, 1918:
„Das Leben erscheint als ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhytmen [sic!], […]“ (Richard Huelsenbeck)
Aus dem Kaugummi Manifesto, 2018:
„Wir [erwachsene Menschen] tun doch tatsächlich so, als wüssten wir alles. […] Deshalb wollen wir sie [Kinder] manchmal einfach nur verkackeiern“ (Christina Röckl)
In knapp einem Monat (12. April 2018) wird die berühmte Grundsatzerklärung der Kunstbewegung Dada 100 Jahre alt. Genau zur richtigen Zeit – also jetzt – erscheint Christina Röckls zweites Bilderbuch, das man nicht besser als mit Richard Huelsenbecks Worten beschreiben kann: „ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhytmen [sic!]“. Eine Zutat fehlt in dieser Beschreibung allerdings noch und das ist das, was Christina Röckl einleitend mit „verkackeiern“ herrlich frech umschreibt: die vorsätzlich kreative Lüge. „Kaugummi verklebt den Magen“ ist ein bildgewaltiges Manifest gegen Fake-News, wie man das im Jahr 2018 wahrscheinlich bezeichnen darf und gleichzeitig ist das Bilderbuch eine augenzwinkernde Hommage an die unerschöpfliche Kreativität der Erwachsenen, wenn es darum geht Abstrusitäten wie „Wer zu lange in die Glotze guckt, kriegt viereckige Augen“ in die Welt zu setzten.
Dadaistisch ist die Form, dadaistisch ist der Inhalt und vor allem ist die „nicht ganz so“ ernsthafte Haltung gegen Wissensvermittlung dadaistisch, die Christina Röckl bereits in ihrem Fußnotenuntertitel anspricht und damit strenge Mentalitäten anprangert, wie auch vor 100 Jahren Hugo Ball, George Grosz, Hans Arp und Co. den ach so dogmatischen Expressionismus anprangerten. Dada hin, Dada her. Wenn man das fast quadratische Bilderbuch zum ersten Mal in Händen hält, wird schlagartig klar, dass es sich nicht um ein schnell-schnell produziertes Stück Kinderliteratur handelt. (Doch wer den kunstanst!fter Verlag kennt, ist ohnehin vorgewarnt!) Das 26 Seiten umfassende Buch ist satte 13 Millimeter dick und das „Aufschlagverhalten ist gut“, wie es Christina Röckl in einem Interview selbst formuliert. Dafür sorgt eine spezielle Bindung, die extra für dieses Buch mit den extra üppigen Einbandpappen angewandt wurde. Dass die Haptik, die durch den vorgetäuschten Umfang selbst eine Mogelpackung darstellt, für Christina Röckl ein Herzensanliegen ist, merkt man rasch, wenn sie über Bücher spricht oder wenn sie wie bei einem >>>STUBE-Freitag in Workshops mit Bilderbuchfans Druck- und Bindetechniken erprobt.
Erprobt hat sich Christina Röckl mit diesem Bilderbuch aber auch selbst. Sie lotet nicht nur die Grenzen der Materialität aus, sondern kreiert auch auf der erzählerischen Ebene ein regelrechtes Spektakel der Bilderbuchkunst. Bild und Text verbinden sich hier nicht parallel oder im Zopf oder kontrapunktisch (wie das Jens Thiele einst unterschied). Für die Röckl‘sche Form des Erzählens müssen erst noch Begriffe erfunden werden. Vielleicht könnte man es als eine mit Bild und Text arbeitende Klimax der Expressivität bezeichnen. Das ist natürlich positiv gemeint und verweist darauf, dass es nicht immer Sinn macht nach Strukturen zu suchen, sondern vielmehr die Wirkung des Kunstwerkes für sich sprechen zu lassen. Denn wie die vielen unterschiedlichen Textbausteine – Sprechblasen, Newsbanner, Beschriftungen, Lexikonartikel, Fahneninschriften, Wegweiser und vieles mehr – mit der artifiziellen Illustration korrespondieren, tritt tatsächlich in den Hintergrund. Bild ist Text und Text ist Bild und am Ende gehen die sonst meist gut zu trennenden Ebenen völlig ineinander auf. Was bleibt ist ein gewaltiges rhythmisches Farbrauschen, das es im Bilderbuch so wahrscheinlich noch nicht gegeben hat.
„Kaugummi verklebt den Magen“ ist ein Buch für alle, die noch nie etwas von Fußnoten gehört haben, für alle, die Bilderbuchkunst schätzen, für alle, die schon viele Fußnoten gesetzt haben, für alle, die die schrägsten Bilderbuchfiguren kennenlernen wollen und vor allem für jene, die glauben, dass Spinat Muskeln wachsen lässt, Cola die Füße schwarz einfärbt, drei Mal küssen Babys macht, beim Schielen die Augen stehen bleiben, …
Peter Rinnerthaler
Für alle, die mehr über „Kaugummi verklebt den Magen“, über Christina Röckls erstes Bilderbuch "Und dann platzt der Kopf", für das sie den Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten hat und über Christina Röckl selbst erfahren möchten, gibt es ein ausführliches Video-Interview mit Peter Rinnerthaler. STUBE-Card-Inhaber*innen finden die Videos im exklusiven >>>STUBE-Card-Bereich
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