Vom Seemannsknoten bis zum Sonnensystem -
nützliches und unnützes Wissen für Schlauköpfe.
Aus dem Engl. v. Christiane Manz.
Gerstenberg 2017. € 20,60.

James Brown & Richard Platt: Das große Wissens-Sammelsurium.

An ein Sachbuch meiner Jugend erinnere ich mich wie an kein zweites: Carl Sagan: Unser Kosmos. Eine Reise durch das Weltall. Mit 500 meist farbigen Abbildungen. Ein schweres, schwarzes Buch mit glänzendem Schutzumschlag und 376 Seiten purer Information. Unvergessen bleibt das Buch, da es die wahrscheinlich bitterste Bildungsniederlage markiert, die ich (abgesehen von Latein- und Mathematik- und Chemie- und Rechnungswesenprüfungen) in meiner Bildungslaufbahn kassieren durfte. Frei von Schulzwängen wollte ich dieses Buch lesen, aufnehmen, durchblicken, erfassen und begreifen. Denn wenn man DEN Kosmos versteht und kennt, ist alles geritzt. Was braucht man sonst? Schließlich ist es DER Kosmos. Da steckt alles drinnen. Nach drei Seiten exzerpierter Verhältniszahlen, Skalierungen sowie Maßangaben über das Universum und der Frage meines Vaters, was ich denn in der Schule verbrochen habe, sah ich ein, dass die 5.000-Einwohner-Stadt, in der ich damals wohnte, vorerst als Kosmos ausreichen müsse und Jahre später, dass Unser Kosmos kein Sachbuch für normalbegabte Jugendliche ist und, dass der Lernanspruch des Allumfassenden kein motivierender Ansatz (für mich) sein könne. Das genaue Gegenteil ist „Das große Wissens-Sammelsurium“.

Hier wurde mir auf 63 Seiten die Welt erklärt. Und auch wenn ich nicht jedes Wort gelesen und (wie schon immer) nicht alle mathematischen Erklärungen verstanden habe, hat es mich ein Stück klüger gemacht und es hat den Zweck eines Sachbuches voll erfüllt: es hat Lust auf Wissen gestiftet. Ich habe geblättert und geblättert und habe mich darauf gefreut, Neues kennenzulernen oder bereits Gekanntes wiederzuentdecken. Der Reiz dieses Buches liegt eindeutig in der Zusammenstellung und in der Reihenfolge der Sachthemen. 30 Kapitel, 30 Doppelseiten, 30 ganzseitige Illustrationen werden dermaßen unzusammen-hängend aneinander gereiht, dass man das Buch beim ersten Öffnen wahrscheinlich einfach nur durchblättert und die Überschriften liest. Der „Musik-Notation“ folgen zum Beispiel „Die Bauteile des Fahrrads“, danach kommen „Erdaufbau & Erdatmosphäre“, darauf „Das Griechische Alphabet“, „Schrauben und Nägel“.

Ja, Schrauben und Nägel findet man auf Seite 28 und 29. Auf der rechten Hälfte der Doppelseite sieht man 30 illustrierte Schrauben und Nägel zu einem Kreis angeordnet, von denen der durchschnittliche Billy-Experte vielleicht sechs auch tatsächlich schon eingeschraubt hat. „Senkknopf, Rundkopf, Linsensenkkopf, Flachrundkopf, Halbrundkopf und Linsenkopf“ also Schrauben- oder Nagelköpfe werden extra abgebildet; wie die 30 Grundformen heißen, erfährt man in einer dreispaltigen Legende. Auf der linken Seite befindet sich der Text, so auch eine Unterüberschrift: „Schrauben und Nägel revolutionierten das Bauwesen: Mit ihnen ließen sich Bretter ohne kunstvoll zurechtgesägte Zapfen verbinden. Ihre Erfolgsgeschichte begann vor 9000 Jahren.“ Im Fließtext erfährt man mehr über die historische Entwicklung, einzelne Aspekte werden durch illustrierte Nägel oder Schrauben in Absätze oder Infokästen abgeteilt. Nicht zwangsweise nur die Historie machen die Texte reizvoll zu lesen, sondern die damit verbundenen Erklärungen, das heißt klare Antworten auf die eine oder andere Warum-Frage, die man schon das ganze Leben herumträgt: „Schrauben kamen viel später in Gebrauch, denn ihr Gewinde ließ sich sehr schwer in Handarbeit herstellen.“

Ebenso ansprechend wie der Text wurde die Bildebene gestaltet. Einerseits lenken die dreifärbig (Schwarz-Weiß und Akzentfarbe) gestalteten Doppelseiten nicht vom Eigentlichen ab und die Illustrationen sind weder verspielt noch gestalterisch verzerrt. So zeigen „Stifte & und Pinsel“ exakt die von ihnen je nach Härtestufe (9H bis 9B) produzierten Striche, „Das menschliche Skelett“ grinst zwar, wackelt aber nicht herum und die „Wolkenklassifikation“ zeigt keine rosa Hasen oder fliegende Elefanten. Humor ist aber durchaus vorhanden. Und zwar im Text, wenn dort zum Beispiel erklärt wird, welche Fahnen man heben müsste, um den Satz „Ich will Kekse!“ anzuzeigen oder die populäre Fragen wie „Wer hat’s erfunden?“ gestellt werden. Die Illustrationen bleiben immer klar und werden durch die Kombination mit Beschriftungen, durch Listen, durch Legenden sehr erkenntnisreich.

Positiv ervorzuheben ist auch, dass sich dieses Sachbuch trotz technischem Fokus nicht dezidiert an Jungs richtet oder ein „Technikbuch für Mädchen“ sein möchte. Wer sich für die „Fibonacci-Folge“ oder das „Fliegen“ oder „Papierformate“ interessiert, wird Freude an diesem Buch haben, egal welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt. Trotz der gender unspezifischen Grundhaltung ist ein Männerüberhang bei den genannten historischen Personen festzustellen, der trotz eines feministischen Exkurses im Kapitel „Die Bauteile des Fahrrads“ nicht ganz ausgeglichen werden kann. Hier wird jedoch unter der Überschrift „Die neue Freiheit der Frauen“, Susan B. Anthony zitiert, die die Mobilitätsmöglichkeit der Fortbewegungsform herausstreicht: „das Radfahren [hat] mehr für die Emanzipation getan als irgendetwas anderes auf dieser Welt.“

Wer sich nicht merken kann, wann die Sonnenwenden stattfinden, welche Uhrzeit New Yorker Uhren gerade anzeigen, wie groß A0 ist, und wer das abschließende Fazit im Morsecode nicht dechiffrieren kann, sollte dieses Buch unbedingt in die Hand nehmen:
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Peter Rinnerthaler

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