Kröte des Monats Dezember 2016
Peter Hammer 2016. 96 Seiten. € 14,00.
Annette Herzog und Katrin Clante: Pssst!
Liebes STUBE-Tagebuch!
Es ist Freitagmittag, kalt, der Wind pfeift durch die Fenster-schlitze, der Globus taucht das warme Büro in ein sanftes Blau und auf dem Schreibtisch liegt ein Comic. Ein richtig gemütlicher Arbeitstag! „Pssst!“ nicht weitersagen. Da werden ja alle neidisch. Nochmal…
Es ist Freitagmittag, nach zwei Tagen Fortbildung ist alles im Verzug, E-Mails, E-Mails, E-Mails, der Magen knurrt, aber es muss noch die „Kröte des Monats Dezember“ online gestellt werden. „Pssst!“ Selbstmitleid im Netz liest man gar nicht gern. Nochmal…
Es ist Freitagmittag und klar, dass „Pssst!“, ein Comic/eine Graphic Novel über die Themen Erwachsenwerden, Identität und Selbstfindung einen Buchtipp wert ist. Allerdings war das Buch schon im September auf der „Beste-7-Liste“, im „Eselsohr“, in „1000 und 1 Buch“, in „Welt der Frau“, in „Kilifü“, in „querlesen“ … Wie soll man dieses Buch jetzt noch rezensieren? Vielleicht in der Form, in der es geschrieben ist? In Tagebuchform also. Und das Ganze „Heimlich, still und leise“, wie Veronika Mayer-Miedl es in einer Rezension formulierte…
Supergeil! Schön, endlich wieder Ich-Perspektive. Nicht nur Annette Herzog, deren Text von Katrine Clante auf unterschied-liche, aber meist linierte oder karierte Zettel gesetzt wird, wählt die subjektivste aller Erzählformen, nein auch ich darf dank Tagebuchformat endlich wieder „Ich“ und „mir“ und „mich“ schreiben. Und noch ein bisschen weiter gehen und sagen: „Mir gefällt das Buch“.
Warum? Die Frage ist leicht beantwortet. Weil mich jede Seite aufs Neue überrascht hat, weil die Gestaltungsformen genauso schnell wechseln wie die Inhalte und weil ich dadurch Lust am Umblättern verspüre. Und mit Umblättern ist natürlich gemeint, dass ich Viola besser kennenlernen möchte. Ich denke, dass nichts falsch daran ist, wenn ein 31-jähriger Germanist einen Comic liest, wenn er sich daran erinnern darf, wie es ihm mit rund 13 Jahren in der Schule ergangen ist und ihm wieder einfällt, wie unglaublich widersprüchlich diese Zeit des „kein Kind mehr und doch noch nicht erwachsen“-Seins ist.
Am intensivsten ist diese Erinnerung an die Teen-Jahre auf jener Doppelseite, auf der man zehn gleichgroße Panels sieht, die die Heldin auf völlig konträre Weise „von außen“ porträtieren. In einem Bild heißt es „Du bist ganz schön dick“, im nächsten „Iss, Viola! Du bist ja wie ein Strich in der Landschaft!“. Einmal lautet ein gut gemeinter Ratschlag: „Du solltest mal ein bisschen was aus dir machen.“, während ein verächtlicher Blick auf Lippenstift und Minirock mit dem Satz „Musst du unbedingt SO durch die Gegend laufen?“ quittiert wird. Obwohl ich als männlicher Land-Teenager nie Make-up oder große Ohrringe getragen habe, kann ich nachvollziehen, wie verwirrend die Lage ist, wenn schließlich auch noch die Schulärztin nüchtern zusammenfasst: „Du bist völlig normal“. Ebenso vertraut fühlen sich die Kritzeleien an, die Viola mit Kugelschreiber auf selbstverfasste Listen zeichnet. Unter den Überschriften „once I was“, „i don’t want to be“ und „I am“ reflektiert sie über ihr derzeitiges und zukünftiges Leben und entwirft so ihre zusammengestöpselte Identität gleich selbst.
Liebes STUBE-Tagebuch, ich befürchte, dass hier alle zu lesen aufhören und einwenden, dass dieses Buch nichts für die 2016er-Teenager sein kann, wenn sich der rezensierende 1999er-Teenager in Ästhetik und Themen wiederfindet. Stimmt! Aber neben handgeschriebenen Listen wird auch via Smart-phone sowie Laptop kommuniziert, im TV läuft eine Mach-was-aus-deinem-Leben-Diät-Sendung und der Umgang mit dem eigenen Teenie-Leben wird auch dank immer gültigen Fragen ein Stück weit zeitlos: „Was ist schlimmer: tot zu sein oder noch gar nicht geboren?“ Und dass die Erwachsenen nicht auf alles und schon gar nicht diese Frage eine Antwort haben und man sie dennoch irgendwie gern hat, war vor 20 Jahren ja nicht anders als heute.
Liebes STUBE-Tagebuch, mir gefällt dieses Buch und ich bin davon überzeugt, dass „Pssst!“ auch allen Teen-Violas und -Violos gefallen wird. Vor allem dann, wenn sie sich gerade nicht mehr sicher sind, was nochmal ihre Lieblingsfarbe war, wer die beste Freundin ist und sie sich die Frage stellen, ob sie mal Pilotin „Oder Schauspielerin. Oder Ärztin …“ werden sollen.
Peter Rinnerthaler
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