Kröte des Monats Juni
2015
Hinstorff 2015
32 S., € 15,50
Karsten Teich: Suchst du Streit?
“You talkin' to me?“
Als Robert De Niro in Martin Scorseses „Taxi Driver“ sein eigenes Spiegelbild provoziert, fällt eines der wohl populärsten Zitate der Filmgeschichte: „You talkin' to me? Then who the hell else are you talkin' to? You talkin' to me? Well I'm the only one here.“
Eine fiktive Konfrontation, die der Figur die Chance gibt, die Waffe zu ziehen und auf das vermeintlich aufstachelnde Gegenüber zu zielen. Ein Moment, der viel über menschliche Streitkultur verrät und wortwörtlich selbstreflexiv ist. Die vierte Wand durchbricht Robert De Niro dabei allerdings nie, schaut er doch immer haarscharf an der Kamera vorbei. Karsten Teich, der – ob willentlich oder nicht – eine wunderbare Hommage an jene populäre Szene geschaffen hat, ist dabei schon direkter: „Suchst du Streit?“ ist als Buchtitel über den stierenden Augen eines Cowboys gesetzt, der die Betrachter*innen äußerst unmittelbar anblickt; der UNS anblickt?
Folgt man der Einladung oder eher Reizung des Haudegens erwartet einen im Buch die Kulisse einer kleinen Westernstadt. Erbarmungslos brennt die Sonne nieder, die Straße vor dem Saloon ist menschenleer – bis auf einen Unbeugsamen. „He, du!“ ruft er seinem Duellpartner zu … Moment, wer? Hier ist doch niemand! Niemand außer – „Ich?“ fragt eine unidentifizierbare Stimme im Buch, die entsprechende Schrift fast verloren auf einer ansonsten leeren Seite. „Ja, du!“ ist die zornige Antwort auf der anderen Seite. Nicht die Kamera, sondern die Bilderbuchseite wird hier zur Vierten Wand, die munter durchbrochen wird, als unser Antagonist immer näher kommt und uns bei einem Blick aus dem Buch bei der Lektüre ertappt: „Ich mag nicht, wenn man mich anguckt!“ Er möchte nicht angeschaut werden, sagt er, schließlich sei er kein Buch, sondern ein Cowboy! – Ein Cowboy in einem Buch, gibt die betrachtende Stimme zu bedenken. Die Leser*innen hätten ein Recht, das Buch anzusehen, wenn sie es wollen – und damit auch den wütenden Cowboy, der sich seiner Fiktionalität nicht bewusst zu sein scheint. Er ist fest entschlossen, seine gezeichnete Welt gegen jeden Eindringling (lies: Seitenumblätterer) zu verteidigen.
Karsten Teich lässt seine Figur und sein Publikum aufeinander zugehen und setzt den Dialog auf beiden Seiten: Auf der einen Seite ist jeweils unsere Antwort zu lesen, auf der anderen die Stichelei des Großmauls. Der Cowboy begibt sich als Provokateur als erster auf die Metaebene und spricht den Menschen außerhalb der Buchwelt an. Und dem Leser/der Leserin wird unfreiwillig die Rolle des Gegners/der Gegnerin zugeteilt. Beschwichtigungsversuche durch die körperlose Stimme (die auch durch ihr klares, kühles Schriftbild einen starken Kontrast zur aufbrausenden Stimmung des Cowboys bildet) schlagen fehl.
Auch von scheinbarer Gedankenmanipulation durch die Leser*innen – so hält der Cowboy plötzlich statt einer Pistole eine Banane in der Hand – lässt er sich nicht von seinem Plan abbringen: „Einen Schlaumeier wie dich puste ich auch so weg!“ Nur: Pusten kann eine reale Person auch, und zwar besser als jede Buchfigur. Vom ganz konkreten Atemstrom erfasst (beim Vorlesen gerne auch doppelt), wird der Cowboy hoch in die Luft gehoben und immer weiter getragen. Seinen Sheriffstern hat er dabei zwar verloren, ein kleines Lächeln aber gewonnen – soll doch wer anderer nach dem Rechten in seiner Diegese schauen.
Die Leser*innen haben den Kampf um das Buch gewonnen und den Protagonisten aus seinem Erzählumfeld verbannt verbannt. Im Buch sitzt er aber immer noch. Und setzt wohl – ganz wie bei Peter Handke – zu den nächsten, höchst amüsanten Publikumsbeschimpfungen an.
Ein Bilderbuch, das von der Metaebene aus ebenso lustig anzuschauen ist wie von der Bettkante. Und das einen sympathischen Ungustl schafft, der zwar nicht im Duell gegen UNS Leser*innen gewinnt, aber mindestens gegen Robert De Niro.
Simone Weiss und Christina Ulm
Streiten, Pusten, Wischen, Sprechen, Schütteln – Wer braucht da schon Apps? Inspiriert von „Suchst du Streit?“ hat die STUBE eine neue Buchliste zusammengestellt, die Bücher präsentiert, bei denen allerhand zu tun ist.
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