Kröte des Monats April 2014
Kunstanstifter Verlag 2014.
72 S. 27,30 €.
Christina Röckl: Und dann platzt der Kopf
Kindermund tut Wahrheit kund. Ein Satz, der oft im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Belangen und mit entwaffnender Ehrlichkeit im alltäglichen Dialog geäußert wird. Welche Relevanz er aber auch in Hinblick auf ganz existentielle Wahrheiten hat, zeigt die Leipziger Illustratorin Christina Röckl in ihrem großformatigen Bilderbuch, das „Seelensätze“ von „Seelenspezialisten“ in einem Gesamtkunstwerk bündelt. Die Textgrundlage bilden zwölf Gespräche mit Kindergruppen zum Thema SEELE. Ein Begriff, der im Buch erstaunlich und bezeichnend oft ohne Artikel benannt wird und so den Charakter eines Eigennamens gewinnt. Ein konsequenter Sprachgebrauch, schließlich gibt es nicht die Seele, sondern nur eine unendliche Vielzahl an Deutungen jener schwierig zu denkenden religiösen, psychologischen und mythologischen Idee, die (nicht nur im christlichen Kontext) oft synonym mit Ich, Psyche, Leben, Identität und Mensch gebraucht wurde und wird.
Aus den Aufzeichnungen der Gespräche hat die Künstlerin markante Formulierungen ausgewählt, arrangiert und nicht zuletzt um expressive Bilder ergänzt. „Kinder erklären die Seele!“, heißt es zu Beginn des Buches – Christina Röckls Leistung kann dabei gar nicht überschätzt werden: Das Buch überwältigt durch seine Schlagkraft und lädt zur wiederholten Betrachtung ein. Der Verlag Kunstanstifter hat sich nicht lumpen lassen, diese Masterarbeit in Illustration in hochwertiger Ausstattung, auf mattem Papier, in sattem Druck und sogar als limitierte Sonderedition zu verlegen.
Studiert hat Christina Röckl u.a. bei ATAK – diese Schule merkt man der jungen Künstlerin an, und doch scheint ihr Stil noch ein wenig wilder und verwegener zu sein. Der grobe Pinselstrich auf ölig-satten, kontrastreichen Farbflächen – teilweise geklebt, geschabt und gekratzt – lenkt den Blick gezielt auf die wesentlichen Bildmomente der ersten Seiten: Ein gelbes Krokodil fliegt über weiten Blauraum, ein Pferd hat den Blick zum Mond gerichtet, der auf einer weiteren Doppelseite in verschiedensten Variationen einer gelben Scheibe ausgedeutet wird. Mondgesichter zeigen sich, An- und Ausdeutungen jener Figuren, Formen und Bildern, die man gemeinhin im Gestirn erkennen kann. „Seele lebt im Mond, Seele lebt bei uns“, heißt es folgend im in Versalien gestempelten Text.
Sprache und Kunst versuchen in Symbiose, Bilder für etwas zu finden, das eigentlich nicht abzubilden ist. Beide Ausdrucksformen versuchen die Seele zu fassen, reagieren aufeinander und sind wechselseitig lesbar. Immer neue Querverbindungen ergeben sich bei der Betrachtung, kleine Sinneinheiten fließen ineinander über und evozieren eine ganz eigene Dynamik der Lektüre. „Seele ist ne Wolke“, heißt es im Text und entsprechend lässt sich auch das schwebende Krokodil deuten. Wie die Mondgesichter sind auch Wolkenbilder eine sogenannte Pareidolie – das fälschliche Erkennen von Mustern in der Unordnung, vom Vertrauten im Fremden. Ähnlich scheinen die kindlichen Gedanken über den komplexen Gegenstand der Seele zu sein: Bekannte, ganz irdische Bilder helfen, die Vorstellung vom Transzendenten zu benennen – es in sichtbaren Dingen wie dem Mond oder in den Wolken zu verorten. Mond und Wolken werden als belebt, als beseelt wahrgenommen.
Ein weiteres wesentliches Moment, das das Buch herausstreicht ist die gedachte Leiblichkeit des Menschen. Das Leib-Seele-Problem im christlichen Umfeld, das bis hin zu einem anthropologischen Dualismus ging, der Seele und Leib als getrennt bestimmt, wird hier en passant gelöst. Während im ersten Teil des Buches nachtschwarze, unendlich anmutende Hintergründe Sternenhimmel andeuten und der Seele im Mond und in den Wolken nachgehen, verlagert sich die Perspektive im weiteren Verlauf zum Menschen hin: Durch ein Fenster blickt man in einen Innenraum, auf ein Skelett in der Badewanne: „Seele sitzt unter der Haut. Seele ist ein Skelett. Seele ist die Wirbelsäule. Seele ist das Rückgrat.“ Das Changieren zwischen der körperlichen und transzendenten Ebene wissen die Kinder aber offensichtlich gleichsam zu spezifizieren, denn: „Wenn man nen Röntgenblick macht, sieht man die Seele aber nicht!“ Zu diesen Ideen stellt die Künstlerin wie auf einer Tafel gleich das zusammen, was uns wortwörtlich „im Innersten zusammenhält“: das Gerippe einer Erbschenschote, die Adern eines Blattes, die Markierungen eines Thermometers. Vorzeichen für jenes Geschöpf, ohne das Seele nicht denkbar ist: Ein schlafender Mensch ist in der Mitte des Bilderbuches auf einer aufklappbaren Doppelseite vor schwarzem Grund inszeniert, auf dem die bildlichen Leitmotive und die (christliche) leib-seelische Einheit verdichtet werden. Ganz im philosophischen Sinn wird auch diese Verortung hinterfragt: Man kann Seelen nicht wie Kleidung tauschen, nur antäuschen, denn „eigentlich könnte Seele überall sein.“ So das nüchterne Zwischenresümee, das jahrhundertelange Diskurse um das Wesen der Seele zusammenfasst.
Die Figuren, die Christina Röckl auf fast alle ihre Seiten stellt, muten bisweilen gespenstisch an: Geister- und Knochenwesen mit schwarzen Augenhöhlen sind allesamt Versuche, die Irritation so mancher Deutungen der Seele zu fassen: „Die Seele spielt uns“, heißt es an einer Stelle. So existentielle Fragestellungen wie jene nach dem Innersten des Menschen können wohl nur über eine latente Verunsicherung dargestellt werden. Dementsprechend rühren auch die Bilder an, wühlen auf und faszinieren. Konsequent endet das Buch auch mit einer Idee des Verbleibs der Seele nach dem Tod: „Wenn ein Mensch gestorben ist, dann gehen die Seelen aufs Level Null.“ … „und dann entsteht was Neues.“ Wie dieses Neue aussieht, lässt die Künstlerin in ihren Bildern weitgehend offen und damit einsetzbar für viele (theologische) Diskussionskontexte. Sie kehrt am Ende zu jener gelben Schrift auf schwarzblauem Grund zurück, die schon zu Beginn des Buches auf die Unendlichkeit der Deutungsmöglichkeiten verwiesen hat. Die abschließende Sequenz ist apokalyptisch und schöpferisch zugleich: „Seele macht bumm.“ Und gibt ganz im aristotelischen Sinn dem Lebendigen seine Form.
Christina Ulm
Ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit philosophischen, ethischen und religiösen Aspekten in der Kinder- und Jugendliteratur steht auch die neue Themenbroschüre der STUBE:
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Gegliedert ist die Broschüre nach den drei großen Sinnfragen der Menschheit: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn? Ausgewählt wurden 66 Kinder- und Jugendbücher der letzten Jahre, die altersmäßig zugeordnet und umfangreich annotiert wurden.
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