Kröte des Monats Jänner 2014
Zwei alte Geschichten neu erzählt. Ein zweisprachiges Bilderbuch Deutsch – Arabisch.
Text: Anne Richter.
Übersetzung ins Arabische: Mahmoud Hassanein. Baobab Books, 2013.
32 S., € 16,40.
Mehrdad Zaeri: Prinzessin Sharifa und der mutige Walter
Der semantische Gehalt des Wortes Widerstand ist hoch. Ohne Kontextualisierung wird die Bedeutung einer antagonistischen Haltung spekulativ. Nur die Kenntnis über die Perspektive(n) der Resistenz ermöglicht ein Verständnis dafür, warum sich ein Individuum oder ein Bündnis widersetzt. Widerstand gegen die Regierungsgewalt: schlecht? Widerstand gegen die Regierungsgewalt eines reaktionären Systems: gut? Widerstand gegen die Regierungsgewalt eines reaktionären Systems, das ein autoritäres Reformregime zu beenden versucht: …? Eindeutiger ist dagegen, dass Widerstand ein zeitloses sowie internationales Phänomen darstellt und stets eine Erzählung in sich birgt.
So auch die zwei neu erzählten alten Geschichten, die von der Auflehnung des mutigen Walters und der nicht minder „furchtlosen Prinzessin“ Sharifa berichten. Die zwei dissidenten Figuren kämpfen allerdings nicht gegen eine ihnen gemeinsam übergeordnete Obrigkeit in Form eines Geschichten-Mash-Ups, sondern sehen sich von zwei unterschiedlich motivierten Tyrannen konfrontiert. Für das zweisprachige Bilderbuch wurde eine originäre Form gefunden, die die Schreib-/Leserichtung der arabischen als auch der deutschen Sprache berücksichtigt. Sharifas Widerstandserzählung liest man von links nach rechts, während man von rechts nach links blättert, um die Wilhelm-Tell-Sage aus der Perspektive des Sohnes Walter zu lesen. Somit sind die Leserichtungen der kulturellen Herkunft der Erzählungen entgegengesetzt. Ebenso wurde dies bei jenem Theaterprojekt gehandhabt, das diesem Bilderbuch vorausging. Ägyptische TheatermacherInnen aus Alexandria wählten Walters und deutsche Dramaturg*innen entschieden sich für Prinzessin Sharifas Geschichte. In der Mitte des Buches, wo die Erzählungen aufeinandertreffen, werden die Rahmenbedingungen und die Auseinandersetzung mit den Stoffen erläutert und davon berichtet, dass das Handeln Wilhelm Tells den ägyptischen Theaterleuten im politischen Kontext als äußerst zeitgemäß erschien: „Darin geht es um das Thema Freiheit“, heißt es in Bezug auf Tell und bei Sharifa: „Das alte arabische Märchen erzählt Wichtiges über das Thema Gerechtigkeit zwischen Mädchen und Jungen, zwischen Frauen und Männern.“
Der komplexen Genese des Theater-/Bilderbuchkunstwerkes und der vielschichtigen Struktur des Bilderbuches steht eine klare Auseinandersetzung mit dem einenden Thema Widerstand gegenüber, die in unprätentiöser Sprache und Bildgestaltung realisiert wird. In prägnant formulierten Sätzen gesteht man den Geschichten an jenen Stellen Raum zu, wo sie ihre Stärken ausspielen können: jene erzählenden Passagen, die die Spannung des jeweiligen Stoffes generieren. Bei Prinzessin Sharifa wird jene Stelle ausformuliert, die von drei schweren Prüfungen berichtet, die sie als Prinz verkleidetes Mädchen in einem entfeminisierten Königreich überstehen muss: „Als anschließend beim Festmahl allen das Essen scharf im Mund brannte, erinnerte sich Sharifa erneut an die Warnung der Königsmutter: Während auch die stärksten Höflinge nach Wasser und Brot riefen, aß der Prinz scheinbar ungerührt das feurige Mahl weiter.“ Für Walter und Wilhelm Tells Erzählung wählt Anne Richter die entscheidenden Momente vor der Apfelschussszene: „„Du bist ein Meisterschütze? Das musst du mir beweisen.“ Dem Jungen befahl er: „Nimm diesen Apfel und setz ihn dir auf den Kopf. Trifft dein Vater den Apfel, ist er frei. Trifft er ihn nicht, wird er für seinen Ungehorsam mit dem Tod bestraft.““ Gespür für die Wirkung von Sprache und Schrift beweist man auch auf formaler Ebene. Obwohl die Ästhetiken der arabischen und lateinischen Schrift unterschiedliche Wirkungen erzielen, konnte durch eine gespiegelte (links- bzw. rechtsbündige) Formatierung der Absätze eine Parallelität über die Doppelseiten hinweg hergestellt werden. Die Doppeladressierung wird ersichtlich und es entsteht indirekt ein Dialog zwischen den Sprachen, aber auch den Illustrationen von Mehrdad Zaeri, dem viel am Informationsgehalt seiner Bilder liegt:
„Der Hauptgrund warum ich irgendwann im Alter von 15-16 mehr als andere Leute Bilder zu zeichnen begann, war der Wunsch zu kommunizieren mit den Menschen und zwar auf eine weniger oberflächliche Art, sondern eher auf eine Art, die sofort tiefer geht.“ Seine Bildgestaltung nimmt das Kulissenhafte der Bühne auf. Er legt teils scherenschnitthafte Ebenen übereinander und zum Schwarz/Weiß der Tusche arbeitet er sehr gezielt und reduziert mit Farbe. Vor allem rote Akzente verbinden das Royale, die Liebe und das Widerständische miteinander. Das Ungehorsame illustriert Zaeri zudem durch Mimik sowie Gestik der Figuren oder räumlich durch die „Alleinstellung“ der Dissidenten abseits vom Volk, das hinter einer symbolträchtigen Steinmauer Aufstellung nimmt. Die Illustrationen der Tell-Sage erhalten ihre Wirkung durch die konzentrierte Darstellung der unterdrückten Gesellschaft, die in der Wahrnehmung des widerständischen Einzelkämpfers in Passivität zu verschmelzen beginnt. Weniger einheitlich ist die Bildsprache der zwei Geschichten. Der Illustrator weiß hier zu differenzieren und den Ton der Texte wiederzugeben. Während sehr heroische und dramatische Bilder die Tell-Geschichte tragen, weiß er die listenreiche Prinzessin spielerischer zu gestalten.
Das Bilderbuch „Prinzessin Sharifa und der mutige Walter“ zeichnet sich durch die differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Widerstand aus und steigert durch die elaborierte Gestaltung die Aufmerksamkeit für jene Themen, für die es sich zu kämpfen lohnt: Freiheit und die Gleichstellung von Frau und Mann.
Peter Rinnerthaler
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