Kröte des Monats Jänner
2013
Aus dem Italien. v. Annette Kopetzki.
Fischer 2012.
119 S., € 13,40.
Gabriella Ambrosio: Der Himmel über Jerusalem
Am 29. November 2012 wurde Palästina von der UNO zum beobachtenden Nichtmitgliedsstaat aufgewertet und damit ein markanter Entwicklungsschritt im Nah-Ost-Konflikt getätigt. Rund zehn Jahre zuvor war diese Entscheidung jedoch noch in weiter Ferne; eine Attentatswelle erschütterte die Region. Am 29. März 2002 ereignete sich in Jerusalem jener Anschlag, der von allen wohl am meisten Aufsehen erregte: Die 18-jährige Ayat al-Akhras sprengte sich in einem Supermarkt in die Luft und tötete auch die 17-jährige israelische Rachel Levy und den Sicherheitsmann Haim Smadar. Ayat al-Akhras junges Alter und ihr Geschlecht waren Anlass für die große Medienpräsenz dieses Ereignisses, in der vor allem der stilisierte Antagonismus der beiden gleichaltrigen Mädchen zum Thema wurde.
Diese Begebenheit ist schon einmal für Jugendliche literarisiert worden: Der empfehlenswerte Roman "Aftershock" von Tamar Verete-Zehavi (cbt 2010) erzählt von einer fiktiven Freundin jener getöteten Rachel Levy und gemäß dem Titel von der Zeit nach diesem traumatisierenden Erlebnis.
"Der Himmel über Jerusalem" – Frei nach der wahren Geschichte von Ayat al-Akhras und Rachel Levy erzählt – berichtet nun umgekehrt von den Stunden, die dem Attentat voraus gingen. Doch die Zugangsweise ist nicht nur hinsichtlich der zeitlichen Einordnung different: Anstatt die weiblichen Hauptfiguren analog zu ihrer medialen Darstellung ikonografisch zu überhöhen, nimmt der Roman eine Vielzahl an anderen beteiligen und betroffenen Personen dieses Selbstmordattentat wie in einem Mosaik in den Blick und fasst sie in einem vorangestellten Personenregister zusammen: Die Palästinenserin Dima, die unter Repressionen aufwächst und zur Täterin wird. Die Jüdin Myriam, die schon ein Trauma zu verarbeiten hat und nun zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Aber auch der Wachmann Abraham, das dritte Todesopfer, die al-Arabiya Journalistin Leila, Sprengstoffexperte Ghassan oder Dimas Verlobter. Mit einer Vielzahl kleiner Kapitel, die auf jeweils eine Figur dieses Dramas fokussieren und Gegenwärtiges, Rückblenden und Erinnerungen geschickt verschachteln, umkreist Gabriella Ambrosio das tragische Schlüsselereignis. Stück für Stück werden so individuelle Motivationen und Hintergründe offenbart. Die Sprache ist dabei charakterisiert von einem ganz eigenen, höchst herausfordernden Protokollcharakter, der zwischen auktorialen Einschüben und einer sehr unmittelbaren Wiedergabe der Gedanken jener Figuren changiert. Die Struktur des Textes folgt den einzelnen Stunden vor der Tat und führt die zentralen Protagonist*innen einander immer näher, bis sie schließlich um 14:00 im Einkaufszentrum aufeinander treffen und sich der Himmel über Jerusalem
verdunkelt ...
So explodierten sie gemeinsam.
Die beklemmende Entelechie des herausragenden Textes gipfelt schließlich in der traurigen Ironie, dass das einzig verbindende Element dieser unterschiedlichen Menschen in ihren unterschiedlichen sozialen Umgebungen das Selbstmordattentat ist. Egal, ob sie dabei getötet wurden oder – entsprechend dem letzten Kapitel – zu denen gehören, die zurückbleiben.
Christina Ulm
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