Kröte des Monats April 2012
Carlsen 2012.
144 S.,
€ 13,30.
Tamara Bach: was vom sommer übrig ist
"Glanzbilder haben keinen Grund. Man kann sie aufkleben oder in eine Schublade legen. Sie glänzen. Es sind Glanzbilder."
Glanzbilder scheinen einer Welt des Wünschens zu entstammen – und haben gerade dadurch ihre Funktion im Miteinander von Jana und Louise. Denn dort, wo Worte nicht mehr erfassen können, was einem selbst widerfährt, muss auf andere Formen der Kommunikation zurückgegriffen werden: Die junge, deutsche Autorin Tamara Bach ist eine Meisterin, wenn es darum geht, ihre Figuren über sich selbst und miteinander kommunizieren zu lassen und sich dabei doch im ausgesprochenen Minimalismus zu üben. Da wurden in ihren drei bisherigen Romanen Kekse über den Tisch geschoben, Songs angespielt, Kaffee gekocht, Schallplattensammlungen in Unordnung gebracht, Vampirfilme herbeizitiert, CDs gebrannt. Hier sind es Glanzbilder und Postkarten aus einer utopierten Abenteuerwelt mit deren Hilfe dort Kontakt aufgenommen und Beziehung hergestellt wird, wo scheinbar gar nichts mehr geht.
"Es geht weiter. Wir stehen auf. Und gehen los. Und irgendwann wird unser Gehen eine Richtung bekommen." So heißt es am Ende von „Busfahrt mit Kuhn“ – und auch in Tamara Bachs neuem Buch geraten Bewegung und Stillstand aneinander. "Und bis hierhin sind wir schon gekommen", heißt es an dessen Ende, an dem vom Sommer kaum noch etwas übrig ist und die beiden Protagonistinnen einander doch Carepakte ganz unterschiedlicher Art geschnürt haben, um auf jene Tour zu gehen, die man Leben nennt.
Am Beginn dieses Sommers steht ein durchdachter Plan, den die 17jährige Louise gefasst hat: Zwei Ferienjobs sollen bewältigt, der Hund der Oma betreut und der Führerschein geschafft werden. Theorie und Praxis klaffen schon am ersten Morgen auseinander, wenn der so träge anlaufende Sommer erstmals seine stilistische Beschleunigung erfährt. Und dann taucht da wie ein wortwörtliches Mahn-Mal auch noch die 13jährige, pampige Jana auf. Sie blockiert Louises Weg – und weist doch auf ganz neue Richtungen, die man einschlagen könnte.
Unvermittelt, und für die Leser*innen erst im Verlauf der jeweiligen Texteinheiten erkennbar, wechselt Tamara Bach zwischen den Perspektiven ihrer beiden Figuren und gestaltet doch deren jeweilige Weltwahrnehmung sprachlich prägnant und unverwechselbar. Beide Mädchen – so zeigt sich – leben im Schatten des Krankenhauses, einem Un-Ort, der das Leben der beiden bestimmt und doch nicht zu deren Aktionsraum wird: Louises Eltern arbeiten im Krankenhaus und versuchen sich ihre Dienste so einzuteilen, dass immer einer der beiden zu Hause bei der Tochter ist. Die Dienstzeiten und die daraus resultierende Erschöpfung jedoch führen dazu, dass Louise dennoch allein mit Schlafenden lebt; die konsequent jugendliche Erzählhaltung hat zur Folge, dass diese Eltern nie zu Wort kommen. Janas Eltern hingegen sprechen sehr wohl mit ihr – und dabei immer an ihr vorbei, denn der Fluchtpunkt allen familiären Handelns ist Tom, Janas Bruder, der in diesem Krankenhaus im Koma liegt, nach jener Sache … Auf literarisch virtuose Weise erfährt man, was damit gemeint ist, wenn Jana erzählt, wie mühsam mittlerweile ein Supermarktbesuch mit all den verhaltenen Fragen und getuschelten Vermutungen hinter den Regalreihen ist.
Wie zwei Himmelskörper, die aus ihrer Umlaufbahn geraten sind, stoßen die beiden Mädchen aufeinander; der Aufprall setzt einen Sternenregen aus Wünschen frei, als sie sich einen Tag Sommer gönnen und dabei ein umfassendes gedankliches „als ob“ inszenieren.
"Und dann wünsche ich mir, dass das nie wieder anders wird. Am liebsten soll die Zeit stehenbleiben, und wenn sie dann doch weitergeht, dann soll alles wieder gut sein, dann soll Tom leben und wach sein und auch wollen."
Den spezifischen Rhythmus ihres literarischen Sprechens, den Wechsel zwischen Satzschleifen und knappen Dialogen, Ellipsen, Einwortsätzen und sichtbar gemachten Gedankensprüngen nutzend, komprimiert Tamara Bach das Erleben von Louise und Jana auf wenige Situationen während eines Sommers, in dem das Wünschen nicht hilft und doch zum zentralen Thema wird. Selten wurde in einem Jugendroman so befreit von allem thematischen und stilistischen Rundherum von der Sehnsucht danach erzählt, dass die Bewegung stoppt und doch alles in Fluss kommt. "Und jetzt gehen wir, bis uns was anderes einfällt. Aber erst mal gehen wir."
Heidi Lexe
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