Kröte des Monats Mai
2008
Carlsen 2008
128 S., € 13,30
Do van Ranst: Rabenhaar
Seit Jahren spielen Bram, Mies, Dorien, Ben, Victor und Stan miteinander die unterschiedlichsten Spiele: Schönheitssalon, Hühnerfarm, Zeitungsredaktion. Jedes Spiel wurde umfangreich geplant; Rahmenbedingungen wurden geschaffen, Requisiten zusammengetragen.
Eine Zeitlang hat auch Rabenhaar zur Gruppe dieser kreativen Verwandlungskünstler*innen gehört: Ein schüchternes Mädchen mit Kopftuch und Namen Fatima, das beim Betreten des Spielortes stets ihre Schuhe ausgezogen hat: Schließlich wurde ihr in der alten Scheune Gastrecht gewährt. Bald jedoch war Fatima in die Gruppe integriert und hat ihr langes, schwarzes Haar auch ohne Kopftuch getragen. Als jedoch Film gespielt und eine Kussszene gedreht werden sollte, hat Rabenhaars konservativer Vater den Spielverlauf jäh unterbrochen.
Die Erzählung setzt ein, als Fatima nach längerer Abwesenheit in die Scheune zurückkehrt und als neues Spiel eine Hochzeit vorschlägt. Bram, der Ich-Erzähler, durchbricht seine von markanten Schwarzweiß-Vignetten begleitete Schilderung durch zahlreiche Rückerinnerungen. Und während die Hochzeit vorbereitet wird zeigt sich an diesen Rückerinnerungen sehr rasch, dass die Geschichte von Spiel und Freundschaft auch eine Liebesgeschichte ist.
Es ist der letzte Sommer der Kindheit, den der niederländische Autor hier wortwörtlich inszeniert – daher mischt sich in die vorerst so heiter erscheinende Kindergeschichte rasch ein beträchtliches Stück Lebensernst. Rabenhaar lenkt den Blick auf ihre familiäre Situation, ihren patriarchalen Vater, der bereits zwei ihrer Schwestern blutjung zwangsverheiratet hat, auf den Druck, der auf viele muslimische Mädchen unter dem Vorwand notwendiger „Reinheit“ ausgeübt wird.
Wo das kindliche Spiel stets für Ausgleich gesorgt hat, bringt diese neue Situation Wut, Scham, Zwistigkeiten und auch ein wenig Neid in die Gruppe. Doch einmal noch erlauben sich Bram, Mies, Dorien, Ben, Victor und Stan den naiv-kindlichen Glauben an das Gelingen des Lebens und erfüllen Rabenhaar den Wunsch, zumindest einmal im Leben aus Liebe heiraten zu können.
Heidi Lexe
"Rabenhaar" ist eines von über 60 Büchern, die in der neuen Themenbroschüre der STUBE unter dem Titel „Einander fremd? Integration in der Kinder- und Jugendliteratur“ zusammengestellt wurden. Die Möglichkeit, die Liste online zu bestellen finden Sie >>> hier
>>> hier geht es zu den Kröten 2008