Kröte des Monats Juni 2006
Moritz 2006.
€ 12,80
Thé Tjong-Khing: Die Torte ist weg! Eine spannende Verfolgungsjagd.
Nun erklärt sich die Wahl zur Kröte des Monats unter anderem ja mit einem zweiten Blick, dessen das jeweilige Buch bedarf. Ein zweiter Blick wird bei dieser textlosen Wimmel-Variante jedoch nicht reichen:
Ihren Ausgangspunkt nimmt die verblüffenden Verfolgungsjagd in einer an sich unspektakulären Szene: Einem Hunde-Ehepaar wird von einem diebischen Rattenpärchen eine Torte geklaut. Die Übeltäter befinden sich auf der Flucht und wir uns ihnen auf den Fersen – und so als würde man sich in einem GIS-System langsam von Westen nach Osten vorarbeiten, rückt der Blick der Betrachter*innen mit jeder Doppelseite im entfalteten Bilderbuch-Panorama ein Stück weiter: Immer mehr Figuren schälen sich dabei aus dem Dickicht des Waldes, das – einem Fluss entlang – zunehmend in eine offenere Landschaft übergeht. Jede dieser Figuren ist in ihre eigene Verfolgungs-, und/oder Suchgeschichte verwickelt und es bedarf des mehrfachen, lustvollen Vor- und Zurückblätterns, um alle Situationen und deren Ursache zu entschlüsseln. Aber selbst die langsame Schildkröte hat es schlussendlich ins Bild zurück geschafft und trägt tapfer ein verlorenes Entlein auf ihrem Rücken. Man hat es wohl irgendwo vergessen – aber wo? Und schon ist man wieder am Suchen: Egal, ob es sich um den Dinosaurier handelt, von dem man sich fragt, wo der denn nun plötzlich hergekommen ist, oder um den rote Popo des Chamäleons, man ruht nicht, bevor man nicht alle kleinteiligen Szenerien zugeordnet hat.
Faszinierend dabei bleibt der Aspekt des Räumlichen: Einerseits bewegt man sich mit den Figuren in einem sich ständig verändernden Raum, der das Geschehen rund um die Tortendiebe mit dieser Veränderung auch entscheidend beeinflusst – so kommt die ständige Fort-Bewegung der Figuren nur ein einziges Mal zum Stillstand: als nämlich das kleine Schweinekind über einen Felsabhang zu stürzen droht.
Andererseits wird mit dem Dargestellten auch jener Raum sichtbar, den das Buch selbst mit dem Aufschlagen öffnet: Orientiert ist das Dargestellte konsequent an der Blickrichtung der Betrachter*innen. Und doch wird diese Blickrichtung permanent unterbrochen, indem man sich im Bilderbuch-Raum ständig vor- und zurückbewegt um alle Einzelgeschehnisse zu dechiffrieren. Renate Habinger hat in ihrem auf der Fernkurs-Tagung zu Raum und Raumgestaltung gehaltenen Referat mit dem Titel „Links oder rechts. Oben oder unten. Gestaltungsraum Buch“ darauf hingewiesen, dass gerade dieses Bilderbuch verstanden werden kann als Beispiel für die Tatsache, dass das Öffnen/Lesen/Betrachten eines Buches immer einer Bewegung im Raum – in diesem Fall eben dem Buch-Raum – gleicht.
Heidi Lexe
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