Thema: Hänsel und Gretel
Jacob und Wilhelm Grimm / Kveta Pacovská: Hänsel und Gretel
Das schöpferische Repertoire der renommierten tschechischen Künstlerin ist groß. Neben Malerei, Collagen und Papierobjekten gestaltet sie seit vielen Jahren Bilderbücher. Oft verbindet sie hier ihre künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten: Ihre Bücher können nicht nur betrachtet, sondern auch bespielt werden. Nach "Rotkäppchen" (2007) bearbeitet Pacovská hier "Hänsel und Gretel". Wie immer operiert sie mit starken Farbkontrasten, setzt schwarzen knallrote oder silberne Seiten gegenüber und collagiert oder malt darauf weiße Flächen und Figuren. Ihre Märcheninterpretation lässt Eindeutigkeit im besten Sinn vermissen und gibt den Betrachter_innen damit maximalen Freiraum, ohne beliebig zu sein. Nicht nur für Kinder ist es eine Herausforderung, sich diesen Bildwelten zu stellen und sie für sich zu erobern.
Minedition 2009.
32 S.
Jacob und Wilhelm Grimm / Lorenzo Mattotti: Hänsel und Gretel
In Grün auf weißen Doppelseiten wird der wohl grausamste Märchenstoff der grimmschen Ausgabe letzter Hand (1875) wiedergegeben. Im Gegensatz zum Text lässt die Farbe der Illustrationen, die die doppelseitigen Textpassagen unterbrechen, jegliche Hoffnung sinnbildlich schwinden. Schwarze grobe Tuschepinselstriche reduzieren das Weiß auf ein Minimum und lassen das Geschwisterpaar meist nur verloren und eingeschlossen im Dickicht des tiefen Märchenwaldes erscheinen. Die dynamische Linienführung verstärkt die expressionistische Eindrücklichkeit, die von den düsteren Szenerien im Wald sowie im Hexenhaus ausgeht und lässt spätestens nach dieser Lektüre alle Erwachsenen die Tragik der allegorischen Ausweglosigkeit erkennen. Somit bleibt es auch ein Bilderbuch für ältere Zielgruppen, die den ästhetischen Wert dieser schaurig-dunklen, kunstvollen Adaption zu schätzen wissen.
Aladin 2013.
48 S.
Jacob und Wilhelm Grimm / Susanne Janssen: Hänsel und Gretel
"Vor einem großen Wald...", so beginnt das Märchen von Hänsel und Gretel. Susanne Janssen widmet den ersten Zeilen des Textes viel Platz. Sie wirken als großflächiges Schriftbild und werden von surrealistischen, doppelseitigen, flächig übermalten, düsteren Collagen unterbrochen. Erst als Ort der Handlung und handelnde Personen großflächig eingeführt sind, darf das Märchengeschehen seinen Lauf nehmen. Wie in ihrer Interpretation von "Rotkäppchen" gerät durch die Geschichte alles aus dem Lot. Hänsel und Gretel werden in die entrücktesten Perspektiven verschoben und ertragen ihr Schicksal mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und einem hingebungsvollen, das Schicksal annehmenden Blick. Wie zu erwarten zeichnet sie kein naives, liebliches Märchenbild und kommt der existenziellen Bedrohung und Dramatik des Märchens damit auf wunderbare Weise schmerzhaft nahe.
Hinstorff 2007.
64 S.
Jacob und Wilhelm Grimm / Sybille Schenker: Hänsel und Gretel
Durch enorm hohen Herstellungsaufwand wird dieses Bilderbuch auch dann zu einem spannenden Erlebnis, wenn das Schicksal der beiden verlorenen Geschwister längst geläufig ist. Die Effekte der unterschiedlichen Bildebenen werden durch den Einsatz von teilweise bedrucktem Transparentpapier und ausgeschnittenen Bereichen erzeugt: Durch das mattschwarze Fenster schimmert bereits das leuchtend-diabolische Orange, das auf der nächsten Seite die scherenschnittartige Hexe mit drohendem Finger umrahmt. Wie die unterschiedlichen Kulissen einer Bühne schieben sich die kontrastreichen Seiten ineinander, deren materielle Struktur so gut auf Papier übertragen wurde, dass sie stets spürbar bleibt.
Minedition 2011.
54 S.
Brüder Grimm Märchen. Ausgewählt und illustriert von Lisbeth Zwerger
Ein Setzkasten? Ein Puppenhaus? Oder doch eine von M.C. Eschers verwinkelten optischen Täuschungen? So unterschiedliche Assoziationen weckt Lisbeth Zwergers Einbandillustration und verweist so bereits auf die Vielschichtigkeit, mit der sie die so bekannten Märchen-Texte visuell interpretiert. Die vielfach, zuletzt mit dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e. V. in Volkach ausgezeichnete Illustratorin hat selbst eine Auswahl aus den Märchen der Brüder Grimm getroffen – und ermöglicht dabei auch Einblicke in ihre eigene künstlerische Entwicklung: Der bibliophil gestaltete Band zeigt sowohl frühe Werke wie etwa ihre Illustrationen zu Rotkäppchen und Hänsel und Gretel als auch ganz neue Illustrationen wie das Coverbild – das übrigens das Schloss von Dornröschen darstellt.
Minedition 2012.
96 S.
Walter Moers: Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien
"Hexen stehen immer zwischen Birken." Der (vermutlich) gruseligste Satz der Literaturgeschichte zieht sich durch Walter Moers' geniale Bücher rund um den Kontinent Zamonien. Wird der Satz in den anderen Büchern aber nur mysteriös erwähnt, findet er in "Ensel und Kretel" – einem zamonischen Märchen – seine Erklärung: Denn tief im großen Wald auf einer Lichtung verbirgt sich das Netz der gemeinen Waldspinnenhexe, die Mensch, Tier oder Fernhachenzwerg anlockt und mit ihrem Sekret zersetzt. Ensel und Krete – eben zwei Fernhachenzwerge – machen mit ihren Eltern Urlaub im großen Wald und verlassen eines Tages die Wege der idyllischen Gemeinde Bauming. Doch just in dem Moment, als klar wird, dass sich die beiden im Wald verlaufen haben und man den scheinbar bekannten Fortgang der Geschichte spannungsvoll erwartet, schaltet sich der "Autor" Hildegunst von Mythenmetz (ein Lindwurm) ein und kommentiert eitel seine Erzählstrategien ... Walter Moers, der sich selbst nur als Übersetzer und Illustrator dieses Textes ausgibt, spielt hier lustvoll mit Abschweifungen, Paratexten, seitenlangen Fußnoten, Illusionsbrüchen und Metafiktionen und schafft so ein sehr unterhaltsames Stück postmoderner Literatur – das besonders als Hörbuch überzeugt: Der viel zu früh verstorbene Entertainer Dirk Bach liest einem Zamonien regelrecht ans Herz.
Goldmann 2002.
256 S.
Gelesen v. Dirk Bach. DHV 2013. [Hörbuch]
Wolfgang Mieder: Hänsel und Gretel. Das Märchen in Kunst, Musik, Literatur, Medien und Karikaturen
Identifikationsmöglichkeiten für Kinder beiderlei Geschlechts, eine symbolreiche und poetische Darstellung menschlicher Urprobleme – mit diesen Aspekten argumentiert der Germanist und Volkskundler Wolfgang Mieder in seinem Vorwort die besondere Popularität von "Hänsel und Gretel". In einem einleitenden Kapitel stellt er Herkunft und Bedeutung des Märchens dar, gefolgt von vier unterschiedlichen Textvarianten aus den Ausgaben der "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Grimm, die zeigen, wie vor allem Wilhelm Grimm sehr genau an seinem Konzept des "richtigen" Märchenstils gearbeitet hat. Neun weitere Kapitel versammeln schließlich Varianten von "Hänsel und Gretel" aus so unterschiedlichen Bereichen wie Aphorismen, Comic-Strips, Karikaturen, Werbebildern und vielen anderen mehr – und zeigen, dass das Märchen sowohl mit Umweltzerstörung als auch mit Katzenfutter zu tun haben ...
Präsens 2007 [= Kulturelle Motivstudien, Bd. 7].
323 S.
Philip Pullman: Grimms Märchen
Kein Jahr zu spät, sondern eher als krönender Abschluss der Brüder-Grimm-Jubiläums-Ausgaben-Festspiele erscheint eine weitere Märchensammlung, der sich zwei Astrid-Lindgren-Memorial-Award-Preisträger angenommen haben. Das Resultat: 500 Seiten großzügig gesetzter Text in schwarzem Hardcover und goldenem Vorsatz, ein Vorwort von Philip Pullman und 50 Märchen, die er als die "Crème de la Crème der Kinder- und Hausmärchen" bezeichnet, ein Nachwort von Shaun Tan und 50 Skulpturen, die fotografiert, ganzseitig und in Farbe den Texten vorangestellt werden. Das Kunstwerk entsteht durch die distinguierte Gestaltung sowie es durch die Ambitionen des Autors und des Illustrators/Bildhauers artifiziellen Anspruch erhebt: Pullmans Sprachstil, dessen oberste Prämisse lautet "alles aus dem Weg zu räumen, was ihren freien Lauf hindert" in Symbiose mit Tans Blick für die ästhetische Essenz.
Ill. v. Shaun Tan.
Aus dem Engl. v. Martina Tichy.
Aladin 2013.
512 S.